Der Schwarze Papst
beauftragt worden wäre, Carissimi zu töten und es wie einen Unfall aussehen zu lassen, würde er diesen Mord begehen. Denn so wie Massa fürchtete, dass Carissimi immer größeren Einfluss auf den Papst gewinnen und Massa am Ende aus dem Amt drängen könnte, so konnte Milo nicht ausschließen, dass Carissimi ihm gefährlich werden würde. Und zwar in zweierlei Hinsicht.
Zum einen spürte er, dass Antonia etwas für Carissimi empfand, das über Freundschaft oder die Hochgefühle wegen der erfolgreichen Partnerschaft bei der Aufklärung mehrerer Mordfälle hinausging. Sie hatte sich ein halbes Jahr lang erfolglos um Sandro Carissimi bemüht, als sie ihn, Milo, noch nicht gekannt hatte. Dass er in ihr Leben getreten war, hatte es ihr sehr viel leichter gemacht, mit Carissimi abzuschließen und eine Freundschaft zu ihm aufzubauen, aber sein Instinkt sagte Milo, dass es nun Carissimi war, der sich um Antonia bemühte, vielleicht weil er - wie viele römische Geistliche früher oder später - über seinen Schatten gesprungen war und das
eine oder andere Gelübde nun nicht mehr so ernst nahm. Milo wäre Manns genug gewesen, diesen Kampf auf sportliche, anständige Weise zu führen, denn obwohl er seinen Rivalen nicht unterschätzte, war er sich auch seiner eigenen Stärken bewusst. Er war fähig, Antonia zu faszinieren, zur rechten Zeit Dinge zu sagen, die sie berührten, mit ihr Nächte zu verbringen, die sie glücklich machten, und er war auch in der Lage, seinen Körper und ein bisschen zur Schau gestellte Unmoral einzusetzen, an denen Antonia als Frau und Künstlerin großen Gefallen fand. All das war er bereit, in die Waagschale zu werfen, und er glaubte, Carissimi damit ausbooten zu können. Ja, er wäre Manns genug gewesen …
Aber Carissimi suchte Carlottas Mörder, und an diesem Punkt endete Milos sportlicher Anstand. Noch ahnte niemand, dass er der Mörder war, dass er in des Papstes Auftrag, überbracht durch Massa, Carlotta da Rimini aus dem Fenster gestoßen hatte. Doch dieses »noch« barg zu viele Risiken. Milo hatte selbst und hautnah miterlebt, mit welchem Scharfsinn Carissimi den Mord an der Geliebten des Papstes aufgeklärt hatte. Zwar wusste Milo, dass Massa und Julius III. kein Interesse daran hatten, dass Carissimi den Mordfall Carlotta da Rimini löste - wegen dem er sozusagen privat und in seiner Freizeit ermittelte -, aber Milo verließ sich ungern auf andere, und es wurde Zeit, dass er das Problem aus der Welt schaffte, indem er endlich Massas Geheimauftrag, der natürlich ohne Wissen des Papstes erfolgt war, erfüllte.
Wie dringend dies war, zeigte sich schon daran, dass Carissimi in diesem Moment an die Tür einer Greisin klopfte, die womöglich Zeugin des Verbrechens gewesen war. Milo bezweifelte, dass ihre Aussage ihn, selbst wenn sie etwas gesehen haben sollte, in Gefahr brächte. Aber am Anfang einer Ermittlung wiegte sich jeder Täter in Sicherheit, nur um irgendwann verdutzt festzustellen, dass eine Spur zur nächsten führte, bis vor die eigenen Füße.
Carissimi wandte sich zu ihm um. »Sie öffnet nicht. Ich weiß, sie ist da drin, ich habe sie von unten gesehen, sie saß am Fenster des obersten Stockwerks, und hier ist das oberste Stockwerk. Ihr habt sie doch auch gesehen?«
»Ja, ich habe sie gesehen«, antwortete Milo. »Vielleicht ist sie taub.«
»Wie auch immer, ich muss diese Frau sprechen.«
»In Ordnung. Tretet zur Seite.«
»Ihr habt doch nicht etwa vor, die Tür einzurammen?«
Milo grinste ihn schief an. »Ich weiß, Ihr haltet mich für einen hirnlosen Muskelprotz, aber ich sage Euch, dass außer meinen Armen und Beinen auch andere Körperteile sehr gut funktionieren, unter anderem mein Gehirn.« Er drängte sich an Carissimi vorbei zur Tür, tastete die Scharniere und das Schloss eine Weile ab und erkannte bald, wie und wo er sie zu packen hatte. Es war eine alte Tür, die dem Zustand des Hauses entsprach, und Milo hob sie einfach aus den Angeln.
»Bitte sehr«, sagte er und machte eine theatralische Verbeugung. »Der Weg für Seine Exzellenz, den Visitator des Papstes, ist frei.«
Carissimi nickte ebenso anerkennend wie widerstrebend. »Wo lernt man so etwas?«
»Na, wo wohl? Im Hurenhaus meiner Mutter. Was glaubt Ihr, wie viele verklemmte Türen ich da schon öffnen musste! Nach Euch, ehrwürdiger Vater.«
Sie traten ein. In der Wohnung roch es muffig und säuerlich, ein bisschen nach feuchter Wäsche und ein bisschen nach Nachttopf. Ein kurzer Korridor
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