Der Schwarze Papst
Fensterbrett, dann schluckte die Frau schwer, und abrupt wandte sie, seit Jahren eine Zuschauerin in der Theatervorstellung des Lebens, sich wieder den Schwalben und den Bäumen zu.
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Das Collegium Germanicum war einem Gebet des jesuitischen Ordensgenerals Ignatius von Loyola entsprungen. Eines frühen Morgens, so hieß es, sei ihm mitten in einer tiefen Andacht die Idee gekommen, eine ganz besondere Schule zu gründen, eine Schule nämlich, deren Ziel es war, geistige Rekruten für den Kampf um das für den Katholizismus fast schon verlorene Deutsche Reich auszubilden. Wieder einmal sah Loyola, der einst Soldat gewesen war, seine Jesuiten als Speerspitze der Gegenreformation. Das Collegium sollte jedem jungen deutschen Mann offenstehen, egal, von welchem Stand er war, gleichgültig, aus welchem Teil des Landes er kam. Die Schulgebühren waren lächerlich niedrig. Man musste weder in den Orden eintreten noch überhaupt eine geistliche Laufbahn anstreben, denn aus der Schule sollten nicht nur die künftigen Prälaten des Reiches hervorgehen, sondern auch Kanzler, Sekretäre, Ärzte, Bankiers, kurz, Scharen grauer Eminenzen, die Herrscher beeinflussen und Völker dirigieren konnten. Auf dem Stundenplan standen deshalb nicht nur Fächer wie Schreiben, Rechnen, Theologie, Griechisch und Latein, sondern auch Buchhaltung, Rhetorik, Heilkunde, Astronomie, Völkerkunde und Handel.
Der Anfang war - wie jeder gute Anfang - bescheiden. Nur wenige Schüler hatten sich zum ersten Trimester eingefunden: ein bayrisches Brüderpaar aus gutem Hause, neunzehn und siebzehn Jahre alt, sowie der siebzehnjährige mittellose Sohn eines Tiroler Schultheißen. Und das Schulgebäude stellte sich, zu Sandros Erstaunen, als unscheinbares, ein bisschen enges Haus heraus. Zwar lebten alle Jesuiten statt in Klöstern in einfachen Häusern zusammen, denen manchmal ein Hospital oder eine Armenküche angeschlossen war, aber hier handelte es sich ja immerhin um eine Schule, die sich anschickte, Geschichte zu
schreiben. Was pompös als »Collegium Germanicum« daherkam, war vorerst eine mit drei Schülern und vier Jesuiten belegte Unterkunft, mehr Obdach denn Lehranstalt.
Dass das Collegium dennoch sogleich für Furore sorgte, lag an dem Verbrechen, das am Abend der Eröffnung in seinen Mauern verübt wurde.
Sandro kam zu spät zum Eröffnungsgottesdienst in die Kapelle gegenüber dem Germanicum. Als er zusammen mit seinem Diener und Gehilfen Angelo eintraf, waren die Festreden diverser geistlicher Würdenträger schon beendet und die Messe halb gelesen.
»Ich habe Euch gesagt, dass wir uns beeilen müssen, Exzellenz«, sagte Angelo, der, mehr als Sandro selbst, um ein tadelloses Bild Sandros bemüht war. Angelo war, seit sie sich kannten, von übereifriger Fürsorge gewesen, sei es, weil er einfach nur seine Arbeit gut machen wollte, oder sei es, weil Übereifer und Fürsorglichkeit Wesenszüge seines Charakters waren. Aber seit Sandro den Mord an der »Hure von Rom«, Julius’ Geliebter, aufgeklärt hatte und stadtbekannt geworden war, verhielt sein gleichaltriger Diener sich wie eine stolze Mutter und Glucke.
»Rom ist heiß wie ein Ofen, Angelo. Ich wollte mich frisch machen, bevor ich meinen Ordensgeneral treffe. Hätte ich ihm verschwitzt unter die Nase treten sollen? Außerdem sei froh, wäre ich nicht noch einmal in den Vatikan zurückgekehrt, würdest du jetzt nicht hier sein und die einmalige Gelegenheit haben, den General der Jesuiten kennenzulernen.«
»Den schwarzen Papst«, ergänzte Angelo bedeutungsvoll.
Sie hielten sich im Hintergrund, in der Nähe des Kirchenportals. Die schmucklose, kleine Kapelle war in ebenso schmucklose Düsternis getaucht, die nichts Geheimnisvolles und nichts Erhabenes hatte. In ihr roch es abgestanden, so als habe seit einem Jahrhundert kein menschliches Wesen mehr einen Fuß in
sie hineingesetzt, aber es mochte sein, dass diese Wahrnehmung mit Sandros Besuch in der muffigen Wohnung der Greisin zusammenhing und eher eine Sinnestäuschung war.
Er blickte auf die Rücken und gebeugten Häupter der Schüler und vor allem seiner Mitbrüder und fragte sich, wer von ihnen wohl Ignatius von Loyola war. Denn er hatte den Mann, der vor rund zwölf Jahren die »Societas Jesu« gegründet und innerhalb dieser kurzen Zeit dem Orden einen sagenhaften Zulauf beschert hatte, noch nie gesehen. Alles, was er über ihn wusste, gründete sich auf offizielle Verlautbarungen und inoffizielle Gerüchte, und Sandro wusste,
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