Der schwarze Prinz
Ärmel, von dem niemand außer ihm etwas wusste.«
38
Havel-Oder-Wasserstraße
Etwa in Höhe Berlin-Spandau bog das magische Schiff in östlicher Richtung in den Kanal, der die Havel über diverse Flüsse, Seen und Kanäle mit der Oder verbindet. Insgesamt betrachtet machten sie, wie Svenya fand, von Dresden aus kommend also einen gewaltigen Umweg. Mit einem Helikopter wären sie um einiges schneller von Dresden in Berlin gewesen, geschweige denn bei ihrer nächsten Station, der Oder. Aber das Schiff war durch den Zauber, der auf ihm lag, schwerer zu orten als selbst ein getarnter Hubschrauber, und nur Hagen wusste, wie weit die Reise noch ging und ob ihr Ziel überhaupt in der Reichweite eines Helis lag. Die geschmeidige und nahezu lautlose Fahrt über das Wasser war auf jeden Fall sehr viel angenehmer, als ein Flug es gewesen wäre - Stealth-Modus hin oder her.
»Andvari scheint immer irgendwelche Asse im Ärmel zu haben«, sagte Svenya im Anschluss an Hagens letzte Bemerkung.
Der Elbengeneral schmunzelte. »Ja, das ist wohl Teil seiner Natur ... oder vielleicht auch Konsequenz der Umstände, wenn man alles rückwirkend betrachtet. Ich kenne ihn auf jeden Fall nicht anders.«
»Wie geht es weiter?«
Hagen machte einen Moment Pause und sammelte sich. Svenya wurde klar, dass sie keine Vorstellung davon hatte, wie es war, Tausende von Jahren Erinnerung im Kopf zu beherbergen und sie abzurufen. Er fuhr fort:
»Lange schon ehe die Aesir Midgard erschufen - im Grunde genommen kurz nach der Schöpfung der Vanir - hatte Andvari bei einem Fluss in der Nähe Ginnungagaps den Sprössling einer neuen Art entdeckt. Es war eine Frau, und sie war so hell und strahlend wie eine Vanir. Aber das Leben in der Wildnis hatte sie gleichzeitig wild und kriegerisch gemacht wie einen der Asen. Doch weder ihre Zauberkraft noch ihre körperliche waren so groß und stark wie die der anderen Rassen. Sie war feiner, verletzlicher - und es war ein Wunder, dass sie überhaupt überlebt hatte. Daher nahm Andvari sich ihres Schutzes an und brachte sie in einen weit entfernten Winkel Niflheims, wo er ihr einen gewaltigen Wald erschuf voller Flüsse und Seen. Er nannte sie Alba, die Weiße, und er lehrte sie, ihre Zauberkraft zu verbessern und sich die Geschöpfe des Waldes zu Freunden zu machen und zu Kameraden.
Am Anfang war Alba glücklich über ihr neues Zuhause und den Frieden, den sie darin hatte, doch mit den Jahren wurde es immer deutlicher, dass sie sich alleine fühlte und unter dieser Einsamkeit litt. So beschloss Andvari eines Tages, den Vanir Freyr mit zu ihr zu nehmen. Er hatte seinerzeit Freyr zusammen mit Freyja geschaffen, und er war so schön wie sie. Doch wo sie weise war und sanft, war Freyr stark und ein Meister der Schmiedekunst. Er führte ihn zu Alba und webte einen Zauber, der die beiden sofort in wilder Liebe zueinander entbrennen ließ. Der Zauber bewirkte zugleich, dass Freyr sein altes Zuhause vergaß und nicht länger an die Vanir oder Vanaheim dachte. So lebten die beiden glücklich über die Jahrhunderte zusammen und zeugten viele Kinder. Und auch diese brachten wieder Kinder hervor und Kindeskinder. So viele, dass Andvari schließlich ihr Land vergrößerte und es Alfheim nannte. Er machte Freyr zum König und Alba zur Königin. So war das erste Volk der Elben geboren - die, die wir heute Lichtelben nennen ... unser Volk.
Sie lebten im Einklang mit der Natur, aber sie verfügten auch über die Schmiedekunst, die Freyr sie lehrte, und die Zaubermacht Albas. Sie waren stärker als ihre Mutter, aber nicht so stark wie ihr Vater. So lebten sie Tausende von Jahren in Abgeschiedenheit und Frieden, ehe sich der Vorfall ereignete, bei dem Loki den Otter erschlug.
Nun kam es aber, dass mit so langer Zeit der Zauber, den Andvari über Freyr gewirkt hatte, Stück für Stück von ihm abfiel und er sich mehr und mehr an seine alte Heimat Vanaheim und seine Gefährten, die Vanir, erinnerte. Zunächst dachte er lange, er träume nur, dann aber wurde er sich immer sicherer, dass die Bilder in seinem Kopf keine Träume waren, sondern Erinnerungen. Er sprach seine Gemahlin Alba darauf an, und sie, die die Wahrheit kannte, erzählte sie ihm.
Freilich war er wütend, dass Alba dieses Geheimnis so lange vor ihm gewahrt hatte, aber er war nach wie vor voll großer Liebe für sie und sein Volk. Zugleich begann ihn jedoch das Heimweh zu plagen - und Alba schlug ihm vor, nach Vanaheim zurückzukehren, falls das sein Wunsch sei. Er
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