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Der schwarze Prinz

Titel: Der schwarze Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Netty
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damit zu holen. Doch auch das funktionierte nicht. Das Wasser hielt sich immer außerhalb seiner Reichweite.
    Das machte den Asen so wütend, dass er sein Schwert zog, es Mimir an die Kehle hielt und den Riesen weckte. Unter Androhung, ihn zu töten, verlangte er von ihm zu erfahren, wie er an das Wasser der Weisheit gelangen konnte. Mimir lächelte und grüßte Odin freundlich - so als gäbe es die Klinge an seinem Hals gar nicht.
    »Wozu, sag, willst du das Wasser, Sohn des Borr?«, fragte Mimir.
    »Wir liegen im Krieg mit Vanaheim, und die Vanir sind uns an Macht und Zauberkraft überlegen«, antwortete Odin.
    »Dann brauchst du das Wasser nicht«, sagte Mimir.»Denn du bist weise genug, zu erkennen, dass sie euch überlegen sind und es das Klügste wäre, den Krieg zu beenden und den Frieden wiederherzustellen.«
    »Dieser Pfad ist mir verschlossen«, erwiderte Odin.»Selbst wenn ich bereit wäre, das Wergeid zu zahlen für die Schändung Freyjas, gibt es da noch einen weiteren Schwur, den zu erfüllen ich gezwungen bin, sonst ist mein Leben verwirkt. Ich muss den Sieg über die Vanir davontragen.«
    Mimir dachte eine Weile lang nach. »Dann ist es nicht Weisheit, die du suchst, sondern nur Wissen und Zauberkraft«.
    »Verleiht dein Wasser mir auch diese?«, wollte Odin wissen.
    »Oh ja, gewiss«, antwortete Mimir. »Doch der Preis ist kein geringere«.
    »So nenne ihn«, forderte der Ase.
    »Ein Auge«, sagte Mimir. »Opfere dem Brunnen eines deiner Augen, und du kannst so viel von dem Wasser trinken, wie dir beliebte«. Odin zögerte nicht einen Moment. Er griff sich ins Gesicht, riss eines seiner Augen aus dem Schädel, ohne auch nur einen einzigen Laut des Schmerzes auszustoßen, und warf es in den Brunnenschacht hinab. Schon im nächsten Moment stieg das Wasser wieder an, und Odin trank so viel davon, wie er nur konnte.
    Danach fiel er in einen tiefen, traumvollen Schlaf. Das Wissen der Welt strömte ihm zu - so viel, dass er gar nicht alles aufnehmen konnte und es ihn fast um den Verstand gebracht hätte. Er erfuhr vom Kern der Dinge, von Magie und von den Möglichkeiten und Machbarkeiten. Als er wieder erwachte, wusste er, was er zu tun hatte:
    Er ging zurück nach Asgard, holte Loki, Hoenir und seine beiden Brüder Vili und Ve, und zu fünft gingen sie zu dem Ort, an dem sie Ymir erschlagen hatten und wo noch Teile seiner gewaltigen Leiche lagen. Aus seinem Fleisch, seinen Knochen und seinem Blut formten sie eine neue Welt: Midgard - zu einem ganz besonderen Zweck. Sie spannten Bifröst, die Regenbogenbrücke, von Asgard nach Midgard und betraten die Erde. Dort suchte Odin einen Baum und befahl Loki und Hoenir, seine beiden Brüder mit großen Nägeln daran zu schlagen, die er mitgebracht hatte. Loki und Hoenir waren über dieses Vorhaben nicht weniger entsetzt als Vili und Ve, doch Odin erinnerte die beiden an den Schwur, den sie Hreidmar gegenüber geleistet hatten, und an das Schicksal, das auf sie wartete, wenn sie ihn nicht erfüllten. So überwältigten sie die beiden Odinsbrüder und schlugen sie nebeneinander mit den Nägeln an den Baum. Das Blut, das aus ihren Wunden strömte, sammelte Odin in einer Schale, trank davon und gab dann auch von seinem eigenen dazu. Dann formte er aus zwei Ästen des Baumes die ersten Menschen - Ask und Embla.
    »Mit diesem Blut der drei gebe ich euch Seele, Geist und Lebern,« sprach er, »Kampfeswille, Intelligenz und die Fähigkeit, zu fühlen. Sprache, Gehör und Sicht.«
    So wie das Leben in Vili und Ve versiegte, so wuchs es in Ask und Embla, bis die beiden in ihrer ganzen Größe und aus eigener Kraft vor ihren Schöpfern standen, während das, was von den zwei Brüdern Odins übrig geblieben war, mit dem Baum verschmolz.
    Wie aber sollten Menschen den Asen helfen in ihrem Krieg gegen die Vanir? Das wollten auch Loki und Hoenir wissen, und Odin erklärte es ihnen.
    »Ich habe sie sterblich und kurzlebig erschaffen. Aber sehr fruchtbar. Sie werden schon bald Tausende sein, ja Hunderttausende. Wir werden ihre Götter sein, und sie werden uns anbeten und uns damit Macht verleihen über die Maßen. Und sie werden Kriege gegeneinander führen und sich gegenseitig umbringen. Die Seelen der im Kampf Gefallenen werden wir zu uns holen. Ich werde ihnen eine besondere Halle bauen aus reinem Gold, wo sie sich stärken können - um dann mit uns in großer Zahl in die Schlacht gegen die Vanir zu ziehen, auf dass wir sie überrennen und an Andvaris Schatz gelangen.

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