Der schwarze Schleier
sollte. Das Publikum machte in der Regel Chopski daraus. In der Branche nannte man ihn Chops; teilweise deswegenund teilweise, weil sein richtiger Name, wenn er je einen hatte (was durchaus im Dunkeln lag), Stakes 1 war.
Er war ein ungewöhnlich kleiner Mann, wirklich wahr. Sicher, nicht so klein, wie behauptet wurde, aber wo findet man schon mal einen richtigen Zwerg? Er war ein ungewöhnlich kleiner Mann mit einem ungewöhnlich großen Kopf, und was er in dem Kopf hatte, das wusste niemand außer ihm persönlich; und auch wenn man mal annahm, dass er je nachgeschaut hat, was selbst für ihn eine reichlich heftige Aufgabe gewesen wäre.
Der freundlichste kleine Mann, der je herangewachsen ist! Munter, aber nicht stolz. Wenn er mit der Nummer mit dem getüpfelten Säugling unterwegs war – obwohl er ja wusste, dass er selbst ein echter natürlicher Zwerg war und dass die Tupfen auf den Säugling künstlich draufgemalt wurden –, da hat er sich um den Säugling gekümmert wie eine Mutter. Nie hat man gehört, dass er einen Riesen irgendwie mit Schimpfnamen beleidigt hätte. Gegenüber der Fetten Dame aus Norfolk allerdings hat er sich wirklich zu unflätigen Worten hinreißen lassen, aber das war ja eine Herzensangelegenheit; und wenn eine Dame mit dem Herzen eines Mannes getändelt hat und dann einem Indianer den Vorzug gibt, dann ist er einfach nicht mehr Herr seiner Sinne.
Natürlich war er immer verliebt, jede außergewöhnliche menschliche Naturerscheinung ist das. Und er war immer in eine dicke Frau verliebt; ich habe nie gehört, dass Zwerge sich überhaupt in eine Kleine verlieben können. Das führt natürlich dazu, dass sie die Kuriositäten bleiben, die sie sind.
Eine seltsame Idee hatte er sich in den Kopf gesetzt, die schon was bedeutet haben muss, denn sonst wäre sie wohlnicht da drin gewesen. Er war immer der Meinung, ihm stünde ein Vermögen zu. Nie hat er seinen Namen unter irgendein Schriftstück gesetzt. Er hatte schreiben gelernt, und zwar von dem jungen Mann ohne Arme, der sich seinen Lebensunterhalt mit den Zehen verdiente (und was für ein meisterlicher Schreiber
der
war, hat Dutzende in der Branche unterrichtet), aber Chops wäre lieber verhungert, als sich eine Kruste Brot zu verdienen, indem er seinen Namen unter ein Blatt Papier setzte. Das ist umso seltsamer, wenn man bedenkt, dass er keinen Besitz hatte und auch keinerlei Aussichten auf einen Besitz, außer seinem Haus und einer Untertasse. Wenn ich »sein Haus« sage, dann meine ich damit die Kiste, die außen bemalt war, als sei sie innen ein normales Haus mit sechs Zimmern, und in die er mit einem Diamantring (oder etwas, das beinahe so aussah) am Zeigefinger hereinkrabbelte und dann aus dem, was das Publikum für sein Wohnzimmerfenster hielt, ein Glöckchen klingeln ließ. Und wenn ich »Untertasse« sage, dann meine ich damit einen Porzellanteller, mit dem er nach dem Ende jeder Darbietung für sich Geld sammeln ging. Sein Stichwort bekam er dafür von mir: »Damen und Herren, der kleine Mann wird nun dreimal um den Wagen laufen und sich dann hinter den Vorhang zurückziehen.« Wenn er im privaten Leben etwas sagte, schloss er es gewöhnlich mit Worten dieser Art ab, und das war im Allgemeinen auch das Letzte, was er zu mir sagte, ehe er nachts zu Bett ging.
Er hatte das, was ich einen feinen Geist nennen würde – einen poetischen Geist. Seine Gedanken bezüglich seines Vermögens überkamen ihn am stärksten, wenn er auf der Drehorgel saß und jemand die Kurbel drehte. Wenn ihm dann die Schwingungen eine Weile durch und durch gegangen waren, kreischte er: »Toby, ich spüre, wie mein Vermögenkommt! Dreh weiter! Ich zähle die Guineen zu Tausenden, Toby – dreh weiter! Toby, ich werde ein wohlhabender Mann sein! Ich spüre die Münzen schon in mir klimpern, Toby, ich werde so groß wie die Bank von England!« Solcher Art ist der Einfluss der Musik auf den poetischen Geist. Nicht dass er eine besondere Vorliebe für irgendeine andere Art von Musik außer für die Drehorgel gehabt hätte, im Gegenteil, er hasste sie.
Er hegte eine Art ewigen Groll gegen das Publikum, was eine Sache ist, die man bei vielen Kuriositäten beobachten kann, die sich ihren Lebensunterhalt mit ihrem kuriosen Aussehen verdienen. Was ihn an seiner Beschäftigung am meisten aufbrachte, war, dass sie ihn von der Gesellschaft fernhielt. Er sagte unablässig: »Toby, mein Ehrgeiz ist es, in die Gesellschaft zu gehen. Der Fluch meiner Stellung beim
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