Der schwarze Thron - Reiter reiter3
waren, Kinder, die mit ihren faltigen, mageren Gesichtern älter aussahen, als sie waren, Kinder, die ihre eigenen blassen, schwachen Kinder zur Welt brachten. Kinder, denen Arme oder Beine fehlten, Kinder und gleichzeitig Veteranen vieler Schlachten.«
Merdigen schwieg, offenbar versunken in seinen Erinnerungen. Kein Geräusch der Außenwelt drang in den Turm ein, und nach allem, was Dale empfand, gab es die Außenwelt nicht mehr, so gebannt war sie von seiner Geschichte.
»Ich werde nie vergessen, wie sie mich anstarrten«, berichtete Merdigen, »mit meinen Falten und dem weißen Haar. Mich, der der Schlacht entgangen war. Sie sagten nichts, sondern starrten mich nur aus ihren gehetzten Augen an.«
Dale versuchte, sich Sacor so vorzustellen, wie Merdigen es beschrieb, aber das gelang ihr nicht. Sie konnte nur die gut
gepflegten Straßen sehen, auf denen es von Einkaufenden und Reisenden nur so wimmelte, und die guten Stadtviertel mit ihren Blumenkästen an den Fenstern der gepflegten Häuser und Läden. Was für ein Glück sie hatte, in diesen Zeiten zu leben!
»Wir waren zum König gerufen worden«, fuhr Merdigen fort, »aber bevor wir ihn sprechen hörten, konnten meine Kameraden aus dem Orden und ich nicht anders, als uns zu freuen, dass wir wieder zusammen waren. Wir waren eine Familie gewesen, und dann hatte man uns so viele Jahre getrennt.
Der König sah unglaublich müde aus, und damals wussten wir wenig darüber, wie große Sorgen er hatte. Vielleicht interessierte es uns auch nicht, denn wir waren wieder zusammen und daher überglücklich.
›Ihr habt angeboten, uns beim Wiederaufbau nach dem Krieg zu helfen‹, sagte der König.
›Das stimmt‹, erwiderte ich. ›Wir werden auf jede erdenkliche Weise helfen.‹
›Bietet eure Hilfe nicht so begierig an‹, erwiderte er, ›bis ihr mich angehört habt.‹ Er erzählte uns von dem großen Wall, der an der Grenze zum Schwarzschleierwald errichtet wurde, und von seinem Zweck. Größere Teile waren bereits vollendet worden.«
Merdigen breitete weit die Arme aus, als wolle er das Ausmaß des Walls beschreiben. »Das ganze Ding war ein Wunder der Baukunst, und der Clan Deyer befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Der König sagte uns, es sei nicht nur die Erfahrung der Deyers, die den Wall zu dem gemacht hatte, was er war, sondern es seien die Opfer von Tausenden. Tausende, die magische Fähigkeiten hatten.«
»Opfer?«
»Magier, die ihre körperliche Gestalt abgestreift hatten,
um sich mit dem Wall zu verbinden, um ihn mit ihren kollektiven Kräften zusammenzuhalten. Ihr Geist und ihre Kraft verbanden sich mit dem Wall und existieren in ihm, um ihn zu stärken. Sie sind nicht wirklich tot, und sie leben auch nicht wirklich. Sie existieren im Wall und singen mit einer einzigen Stimme. Man sagte uns, dass sie sich freiwillig geopfert hatten.«
Die Luft im Turm schien sich zusammenzuziehen und löste sich dann wieder wie ein bedauerndes Seufzen.
Dale zog ihren Mantel fester um sich. Wie konnten so viele willens gewesen sein, ein … ein Teil des Walls zu werden? Sie konnte sich keine schlimmere Folter vorstellen, als tausend Jahre im Stein zu existieren. Wie fühlte sich das an? Sie wollte es lieber nicht wissen.
»Dann erzählte der König uns von den Türmen, die gebaut worden waren. Türme, in denen Turmhüter leben sollten, die dauerhaft Wache halten und die dafür sorgen konnten, dass der Schwarzschleier ganz bestimmt nicht die Barriere überschritt. Zehn Türme, die Hüter brauchten, welche mit dem Wall ebenso kommunizieren konnten wie mit den Wallhütern. ›Wir haben nur noch wenige Magier‹, sagte der König, ›und keine mit eurer Kraft.‹
Zu diesem Zeitpunkt schien das nicht zu viel verlangt zu sein, verglichen mit den Opfern, die andere gebracht hatten. Wir würden wieder unter Menschen sein und in der Lage, miteinander zu kommunizieren und selbstverständlich die Kunst auszuüben und unsere Technik zu perfektionieren. Wir würden auch unserem Land helfen – nicht, indem wir Blut vergossen, sondern indem wir seinen Schutz verstärkten, so dass das Böse die Grenze nie wieder überschreiten würde. Aber dann brachte der König einen seiner Berater herein, einen großen Magier namens Theanduris Silberholz.«
Silberholz, Silberholz, Silberholz … Der Name brach sich in Dales Geist in einem schwachen, aber zornigen Echo.
Merdigen sah sich im Raum um, als suche er nach Geistern. »Hast du das gehört? Die Hüter kennen den
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