Der schwarze Thron - Reiter reiter3
Gräber hielten inne, als sei die Zeit angehalten worden. Die Gespenster erschienen Karigan sichtbarer als vorher: sämtliche Frauen, Männer und Kinder, die zu ihren Lebzeiten über Sacoridien geherrscht hatten. Sie verbeugten sich vor ihr und dem Hengst und traten zurück, um ihnen Platz zu machen.
Die anderen Geister, die von unten gekommen waren, konnte sie nicht so deutlich erkennen. Sie wirkten nach wie vor wie Flecken von Dunkelheit, aber Karigan spürte, dass sie von primitiver Natur waren und niederere Gelüste hatten. Sie gierten danach, in die Welt der Lebenden einzudringen. Ihr Werkzeug war die Angst, und nur Seelen konnten sie sättigen.
Salvistar blieb vor der bodenlosen Leere stehen, schüttelte den Kopf und sprang hinein.
Karigan wollte schreien, als sie durch die undurchdringliche Dunkelheit stürzten, aber so genau, wie sie wusste, dass sie für Westrion sprechen sollte und dass die Geister die Länder der Lebenden überfallen würden, wenn sie nicht wieder in ihre Gräber verbannt würden, so genau wusste sie auch, dass der Hengst sie nicht abwerfen würde. Tatsächlich hatte sie den Eindruck, dass große, transparente Flügel ihren Kurs steuerten und sie auf seinem Rücken vollkommen sicher war.
Schließlich landete Salvistar sanft auf einem Felsensims tief im Abgrund. Das Glühen ihrer beider Rüstungen aus Sternenstahl warf ein geisterhaftes Licht auf die Schädel und Gebeine,
die in Hunderten von Nischen in den Wänden der Erdspalte lagen. In die Wände waren Zeichnungen der Delver eingeritzt, und Opfergaben – primitives Steingut, schimmelnde Pelze, Werkzeuge und Handwerkszeug aus hartem Kristallquarz – lagen verstreut auf dem Sims.
»Kommt«, sagte Karigan. Es war ihre Stimme, und doch war sie es nicht. Sie sprach die Worte Westrions.
Eins nach dem anderen sammelten sich die Gespenster um sie herum, Tausende von transparenten Präsenzen, Schatten. Sie spürte ihre Feindseligkeit. Ihre Stimmen schrien Ungehorsam, sie sprachen von ihrem Hunger, den sie mit den Lebenden stillen wollten. Karigan wusste dies, obwohl ihr die Worte unverständlich waren. Sie wusste auch, dass viele dieser Geister gutartig waren, während etliche bösartige Angehörige ihrer Rasse in den untersten Bereich des Abgrunds verbannt worden waren – eine Form der posthumen Gerechtigkeit. Noch tiefer im Abgrund befand sich ein beschädigtes Siegel zwischen den Welten, an dem ständig Dämonen kratzten, in der Hoffnung, ihrer Hölle zu entkommen. Das war sogar eine noch größere Bedrohung als die Geister.
»Schlaft«, befahl sie ihnen.
Sie kreischten und wirbelten ablehnend, und einer, der im Leben ein Häuptling gewesen war, erschien vor ihr und stand in der Luft. Sein Haar wehte ihm wild um den Kopf, und er war in Tierhäute gekleidet.
»Geh weg, Avatar«, brummte er. »Du bist nicht unser Gott. Wir werden tun, was uns beliebt.«
Karigan stieß ihre Lanze durch den Häuptling hindurch, und er löste sich in nichts auf. Die anderen Geister wurden still.
Die mächtige Stimme Westrions wallte in ihr auf und erklang als kraftvoller Befehl: » Schlaft .«
Die Geister eilten wie schwärmende Insekten in ihre Nischen und kamen nicht wieder hervor.
Salvistar sprang von dem Sims und kreiste hinab, immer tiefer hinab in die leere Dunkelheit, bis zu einem Ort, der noch nie Licht gekannt hatte. Karigan war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt ein physischer Ort war oder ob sie auf eine andere Existenzebene versetzt worden war.
Schließlich landete der Hengst, und das Glühen ihrer Rüstungen enthüllte eine trockene, steinige Landschaft. Die Felsen waren nicht verwittert, sondern hatten gefährliche spitze Formen. Ein runder Schild aus Sternenstahl war fest im Boden eingebettet. Wie bei Karigans Rüstung wimmelte die Oberfläche vor Symbolen, aber manche bewegten sich nicht. Sie waren tot, und ein Teil des Siegels war verrostet und hatte angefangen, sich zu verformen. Sie spürte die Scharen von Dämonen auf der anderen Seite, die gegen das Siegel drückten und kratzten und schlugen, um zu entkommen.
Dies war die größere Bedrohung. Wenn die Dämonen entkamen, würde sich das Leben auf der Erde in eine Hölle verwandeln: in einen Ort ewiger Mühsal und Dunkelheit, wo die Lebenden um ihre Existenz kämpfen mussten, um nicht in aller Ewigkeit versklavt und gequält zu werden. Menschen würden sich in lebendes Aas für Geister und Dämonen verwandeln, und die lebendige Welt würde in ein Reich des Todes
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