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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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die Hände am Schilf, legte sich auf einen Steg aus Holz und tauchte seine Arme ins Wasser. Ich konnte unsere Gesichter sehen, die sich mit den Wellen langsam zu verschieben schienen.

    Mein Vater schärfte uns ein, nicht in den Fluß zu springen. Ich kann euch nicht finden und herausziehen, man sieht nichts da unten, versteht ihr, es ist zu dunkel, erklärte er, zu dunkel. Er warf Hemd und Hose auf den Steg, sprang über unsere Köpfe ins Wasser, tauchte unter, und es dauerte lange, bis er schnaubend vor uns hochkam. Wasser perlte von seinen Wimpern und Brauen, die jetzt noch dunkler aussahen. Das sind Strudel, seht ihr, rief er und zeigte hinter sich auf Kreise, die sich drehten und in der Mitte tiefer wurden. Ertrinken kann man hier, ganz schnell. Sie ziehen euch hinab, versteht ihr?, fragte er, und Isti und ich nickten.

    Vom Steg aus schauten wir unserem Vater dabei zu, wie er von der anderen Seite des Ufers immer wieder in den Fluß sprang, um dann an den Kreisen vorbeizuschwimmen, die das Wasser wie in einem Trichter hinabzogen. Wir hatten Angst, ihn aus den Augen zu verlieren. Wenn er weiterschwamm, liefen wir am Ufer entlang. Ich schlug das Schilf zur Seite, und Isti kam so schnell er konnte hinterher. Wenn unser Vater tauchte, wenn er sich mit den Wellen treiben ließ und hinter dem Schilf verschwand, begann ich zu zittern, und Isti schrie und griff nach meiner Hand. Erst als unser Vater tropfend neben uns stand, beruhigten wir uns.

    An einer seichten Stelle ließ er uns ins kalte, trübe Wasser gleiten. Meine Füße versanken im Schlamm. Einen Moment lang glaubte ich, das Wasser würde mich fortreißen. Blutegel hefteten sich an Istis Beine. Wie Würmer sahen sie aus, wie dunkelrote Würmer. Mein Vater setzte Isti ans Ufer, zündete eine Zigarette an und löste die Egel mit der Glut. Isti weinte, und später, als er sich neben mich in den Sand legte, bemerkte ich zum ersten Mal, daß seine Augen ein bißchen aussahen wie meine. Er sagte, wenn du so auf der Seite liegst, fallen deine Lippen hinunter. Sie verziehen sich. Sie fallen nach unten. Die Augen sind das einzige, was unverändert bleibt, fuhr er fort, die Augen fallen nie. Am Abend waren wir krank von der Sonne. Isti hatte Fieber, und ich spuckte tagelang in einen Eimer, den mein Vater neben das Bett gestellt hatte.

    In den letzten Tagen des Sommers kehrte ich oft zum Flußufer zurück. Am Anfang glaubte ich, unsere Abdrücke zu sehen, und wischte mit meiner Hand darüber. Ich legte mich auf den Rücken, steckte die Füße in den Sand und schaute in den blauen Himmel, in diesen flachen, nahen Himmel, bis es Abend wurde und die Wolken sich gelb färbten. Ich stellte mir meine Mutter und meinen Vater vor, wie sie hier, in meiner Nähe, im Fluß schwammen. Wie sie tauchten, sich mit Wasser bespritzten, wie meine Mutter sich treiben ließ und mein Vater sie einholte. Ich sah die Riemchensandalen am Wasser, darüber das Kopftuch, und wenn ich danach griff, ließ ich doch nur Sand durch meine Finger rieseln. Für einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, Karcsi alles zu erzählen. Wie sich die Haare auf Évas Stirn bewegt hatten, wie das Futter ihres Kleides gerissen war. Ich dachte daran, ihn zu beschwören, meine Mutter zurückzuholen, um seine Éva für sich zu retten.

    Isti fing an, diese Dinge zu sagen. Er sagte, dieser Ort wird nichts mehr von uns wissen. Daß es so war, davon war auch ich überzeugt. Sobald wir uns wieder in den Zug setzten oder in einen fremden Wagen stiegen, sobald uns jemand ein Stück mitnahm, hin zu unserem nächsten Ziel, hatte man uns hier vergessen. Ich wußte, was ich liegengelassen hatte, würde im nächsten Moment weggeräumt, eine schmutzige Tasse, ein Messer - lange bevor wir wieder aus einem Zug, aus einem Bus steigen würden. Von uns gab es keine Spuren. Wir hinterließen nichts. Jetzt verging die Zeit plötzlich, sie lief einfach weiter, auch wenn sich nichts bewegte, zumindest nicht so, wie wir es uns wünschten. Wenn die Uhr zur vollen Stunde schlug, hatte das fast etwas Spöttisches. Später fing ich an, Steine, Federn oder Geldstücke in den Häusern zu verstecken, in denen wir eine Zeitlang gelebt hatten und die wir wieder verließen. Ich versteckte sie in Schränken, über Türrahmen, hinter Fenstern und in Öfen. Ich vergaß nicht eines meiner Verstecke. Ich dachte an sie, Monate später. Jahre später.

    Erst als wir den Herbst schon riechen konnten, wurden unsere Spaziergänge an den Fluß seltener.

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