Der Schwur der Königin
bin eine Jungfrau …«
»Nein!« Seine Stimme schwoll an. »Ich bin kein Knabe! Nächstes Jahr werde ich dreizehn. Ich bin zum Ritter geschlagen worden und habe mein Schwert bei der Verteidigung von Aragón mit Blut getränkt. In meinem Reich bin ich schon ein Mann.«
Damit nahm er den Mund sehr voll, auch wenn man Worte dieser Art durchaus von jemandem wie ihm erwarten konnte. Doch als ich den Blick auf unsere ineinander verschlungenen Hände senkte, kamen sie mir vor wie zwei Seidenfäden vom selben Strang – meine so weiß und zart, seine kräftig und braun und dennoch beide beinahe von der gleichen Länge und der makellosen Reinheit der Jugend.
Warum löste er solche Gefühle in mir aus? Er war ungehobelt und arrogant und trotz seiner eigenen Ratschläge bezüglich höfischen Verhaltens viel zu unverblümt. Ich kannte ihn so gut wie gar nicht. Aber wenn ich ehrlich zu mir war, konnte ich nicht leugnen, dass die Vorstellung von ihm als meinem Gemahl nicht ohne Reiz war. Mein Leben lang hatte man mir vorgehalten, dass ich eines Tages zum Nutzen Kastiliens würde heiraten müssen. Nie hatte ich geglaubt, ich würde dabei ein Wörtchen mitreden können. Natürlich schloss das nicht aus, dass ich mir Gedanken darüber machte, was für eine Art von Gemahl das Schicksal für mich bereithalten mochte, oder dieselben Träume hegte wie jedes andere Mädchen. Unsere Welt war voller alter, fetter Könige; da war es nur normal, dass ich mich von dem Versprechen dieses ungestümen jungen Prinzen angezogen fühlte.
Aber das würde ich ihm natürlich nicht sagen. Ich würde mich nie kompromittieren. Außerdem brach er heute in sein Reich auf. Wer wusste schon, wann – oder ob – ich ihn jemals wiedersehen würde?
Ich zog meine Hand zurück. »Fünfzehn ist das Alter, ab dem eine Infantin in Kastilien verheiratet werden kann. Wenn Ihr eine Antwort wollt, kommt dann zurück, und ich gebe sie Euch – nachdem Ihr bei meinem Bruder um meine Hand angehalten habt.« Und bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte, fügte ich hinzu: »Aber lasst uns jetzt nicht die uns verbliebene gemeinsame Zeit verderben.« Ich lächelte ihn an, um den Ausdruck von verletztem Stolz aus seiner Miene zu vertreiben. »Kommt, lasst uns noch ein wenig spazieren gehen. Ihr könnt mir von Aragón erzählen. Ich bin noch nie dort gewesen und würde es gern mit Euren Augen sehen.«
Sein Gesicht hellte sich bei dieser Einladung auf, und während wir durch die Gartenanlage flanierten, erging er sich mit wohltönender Stimme in einer ausführlichen Schilderung seiner Heimat, die sich von den reichen Ländereien um die Stadt Huesca im Norden bis zu den azurblauen Gewässern vor Valencia im Süden erstreckte. Seine Worte ließen alles zum Leben erwachen. Ich sah das Land förmlich vor mir mit seinen imposanten gezackten Bergen, wie sie sich unter den eisigen Pyrenäenwinden von Violett zu Blau verfärbten; mit seinen Tälern, die so fruchtbar waren, dass dort wilde Obstbäume wuchsen; und mit seinen ausgedörrten Steppen, wo Rinder- und Schafherden grasten. Ich sah die von Mauern umschlossene Hauptstadt Saragossa an der Mündung des Ebro, ihren filigranen Aljafería-Palast und den Alabasteraltar der berühmten Basilika. Vor mir erstand die von den wilden Katalanen bewohnte Handelsstadt Barcelona, die gegen die aragonischen Herrscher aufbegehrte. Ich schmeckte den Krabbeneintopf, der als das beste Mittel zur Vorbeugung gegen Krankheiten galt, und den berühmten Pata-Negra -Schinken, der in der Stadt Teurel gereicht wurde. Ich erfuhr vom tapferen Widerstand des aragonischen Volkes gegen die ständigen Übergriffe der wölfischen Franzosen und von seinem jahrhundertelangen Kampf um die Kontrolle der entfernten, von der Sonne verbrannten Königreiche Sizilien und Neapel.
»Es gab eine Zeit, als wir den größten Teil von Süditalien unter unserer Kontrolle hatten«, ließ mich Fernando wissen. »Außerdem gehörten uns die Herzogtümer Korsika und Athen. Wir waren die Herren des Mittelmeers.«
Ich war natürlich mit der Größe meines heimischen Königreichs Kastilien und León vertraut, doch Fernandos Offenbarungen über die Besitztümer Aragóns in der Fremde verzauberten mich, suchten dort doch wagemutige Seefahrer nach Reichtümern, um mit Truhen voller Gewürze, Edelsteine, Seidenstoffe heimzukehren; sie brachten aber auch das begehrte Alaun mit, ein für die Tuchfärbung benötigtes Mineral, für das heimische Händler wahre Vermögen
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