Der Schwur der Ritter
Wendeltreppe immer leiser wurden.
Jessie blickte ihm nachdenklich hinterher. Noch stand nicht fest, was aus der Nichte des Königs werden würde und ob sie sie mit auf die gefährliche Reise nehmen würde – doch es stand mehr als fest, dass die nächste Invasion der Engländer nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Die Frage war nur, wann sie erfolgen würde und wie stark Edwards Heere sein würden.
Noch sechs Wochen bis zum Mittsommertag, an dem der Waffenstillstand von Stirling endete. Dank des törichten Abkommens, das Roberts Bruder den Engländern diktiert hatte, hatten sie bis zu diesem Tag Zeit, Stirling zu räumen – und das schien Edward nicht vorzuhaben.
Stattdessen hatte er Frieden mit seinen Baronen geschlossen – und Robert dazu getrieben, sich mit den freiheitsliebenden Inselfürsten zu verbünden, auf deren Hilfe er nicht verzichten konnte.
Während sich der Hafen unter ihr rapide leerte, begann sie sich zu fragen, was Will nun tun würde. Er hatte ihr gesagt, dass er Arran verlassen würde, wenn seine Arbeit getan war, dass ihn Schottlands Sorgen nichts angingen, dass er König Robert jene Männer überlassen würde, die bleiben wollten, dass seine eigene Verpflichtung jedoch einzig seinen Männern, ihren Familien und der geplanten Seereise galt. Sie hatte ihm geglaubt – doch jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Sir William Sinclair war ein Mann, der seine Freunde nie im Stich ließ, und Robert Bruce zählte zu seinen Freunden. Je näher die Invasion rückte, desto mehr musste er sich hin- und hergerissen fühlen.
Sie zweifelte nicht daran, dass er das Richtige tun würde. Doch die bange Frage, was das sein würde, ließ sie jede Nacht wach liegen, seit er nach Brodick aufgebrochen war. So lange hatte sie darauf gewartet, dass er der ihre wurde, und nun, da er es war, konnte sie den Gedanken nicht ertragen, ihn im Schlamm eines Schlachtfeldes zu verlieren, weil sein Ehrgefühl und sein Gewissen es ihm nicht erlaubten, sich um sich selbst zu kümmern.
Sie starrte immer noch blicklos auf das Meer hinaus, als sich vertraute Hände um ihre Ellbogen legten. Sie wusste sofort, dass er es war, und mit jubelnder Erleichterung fuhr sie herum und warf sich in seine Arme, die sie fest an sich zogen.
Schließlich löste er die Umarmung und drehte sie behutsam so, dass sie mit dem Rücken an ihm lehnte, damit sie gemeinsam dem Auslaufen der letzten Schiffe zuschauen konnten.
»Sie sind also zu einer Einigung gelangt?«, flüsterte er schließlich in ihr Ohr.
Es war eine überflüssige Frage, doch sie beantwortete sie trotzdem. »Aye. Sir James sagt, die Inseln des Westens werden sich hinter den König stellen, wenn die Zeit kommt.«
»Daran habe ich nie gezweifelt. Ihnen bleibt ja gar nichts anderes übrig.«
Sie entwand sich seinen Armen und drehte sich zu ihm um. »Was ist geschehen, Will? Warum bist du hier?«
Sein Blick wanderte über ihr Gesicht hinweg, dann zuckte er sacht mit den Schultern und lächelte traurig. »Ich bin hier, Jess, weil ich dich sehen muss, dich in meinen Armen spüren muss … und eine traurige Nachricht mit dir teilen muss.«
»Dann komm mit, denn dies ist nicht der richtige Ort.«
Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn ein Stockwerk tiefer in ihr Schlafgemach. Sie setzten sich, und nun war Jessie bereit. »Erzähle es mir.«
Er nickte zwar, doch dann schwieg er, und sein Blick schien mit seinen Gedanken in weiter Ferne zu weilen. Nach einer Weile blinzelte er, als sei er gerade aus einem bösen Traum erwacht, und legte die Hand auf den Dolch an seiner Hüfte.
»Ich habe Nachrichten aus Frankreich erhalten«, berichtete er tonlos. »Jacques de Molay ist tot. Nach sieben Jahren im Kerker haben sie ihn schließlich ermordet. Immer wieder haben sie ihn verhört, bis er sich geweigert hat, mit irgendjemand anderem als dem Papst zu sprechen, dem er einst seinen Eid geleistet hatte. Doch das war natürlich nicht möglich, und so hat er Philipp Capet als habgierigen Dieb bezeichnet.« Er atmete heftig aus. »Capet war gerade in Paris, und er hat sofort reagiert. Sie haben ihn noch am selben Abend auf dem Scheiterhaufen verbrannt, auf einer Seine-Insel vor der Kathedrale von Notre Dame – einen alten Mann von über siebzig Jahren – und mit ihm den Präzeptor der Normandie. Mein alter Freund Antoine St. Omer hat es mit angesehen. Er sagt, mit seinen letzten Worten hat er dem König und dem Papst prophezeit, dass sie sich vor Ablauf des nächsten Jahres
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