Der Schwur der Venezianerin
in Sicht.
Sie sah sich in glücklicheren Tagen, mit Pietro durch den Apennin streifen, der erhofften Zukunft entgegen.
Dort und damals gab es noch die Hoffnung.
Jetzt peitschten Erinnerungen um sie herum, die sie quälten. Sie hatte Pietro benutz wie ein Kleidungsstück und dann weggeworfen.
Sie erfasste die Kühle ihres Herzens als sie den schwachen Mann Pietro, der ihrer Hilfe bedurft hätte, als Instrument ihres erfolgreichen Weges missbraucht hatte. Mit Schrecken hatte sie die Botschaft vernommen, Pietro habe man mit einem Dolch in der Brust aus dem Arno gefischt. Die Gerüchte behaupteten, die hinterhältigen Mörder seien von ihr gedungen worden, hätten den Gatten der Geliebten des Großherzogs ermordet, damit ihr Weg zur Hochzeit mit Francesco frei sei.
Die grausamen Bilder, die sie des Nachts überfielen, getränkt mit Blut und bestückt mit Resten des toten stinkenden Fleisches, entsprangen der Wahrheit ihrer Seele, ließen sie nicht los. Sie sah sich eingewickelt in das Gedärm Pietros, bespritzt mit seinem Blut. Seine aufgerissenen Augen starrten unter ihren Lidern hervor, die aufgedunsenen Beine seines Körpers schmerzten ihre Schenkel, die Pietro oft so liebevoll umschlungen hatte. Sein praller, wässriger Bauch schien in dem Ihrigen zu bersten und sie mit Darm und Kot zu überfluten.
Bianca schlug sich einen Pfad durch das Unterholz ihrer verworrenen Gedanken.
Sie erhob sich, blieb allein, sie wollte niemanden sehen. Der große Spiegel, den ihr Philip II. von Spanien geschenkt hatte, warf das erste Sonnenlicht zurück an die gegenüberliegende Wand. Ein wundervolles Stück, das seine 6000 Dukaten wert war. Klares Spiegelglas mit einem Goldrahmen, der mit Edelsteinen und Elfenbein besetzt war. Hatte ihr der Herrscher von Spanien den Spiegel geschenkt, damit sie sich in ihm wiederfand? Sie trat nahe an das Glas heran und fasste entsetzt in ihr Gesicht. War sie das wirklich? Ihr Gesicht hatte die Frische der Jugend verloren, sie sah übernächtigt aus, überall zeigten sich die lästigen Falten und Fältchen und vor allem aber tippte sie mit den Fingern in die Wangen und an das Kinn. Leichte, kaum wahrnehmbare Dellen blieben zurück. Sie war aufgeschwemmt, aufgedunsen von der Wassersucht. Bianca starrte das Bild im Spiegel an, als wäre es ein Geist, ein Wesen, dem man sich nicht nähern sollte. Immer und immer wieder tippte sie in die Wangen, an die Stirn, auf das Kinn.
Langsam ließ sie ihr Nachtgewand, aus weißem Leinen und mit Spitzen besetzt, über die Schultern fallen. Sie stand nackt vor dem Spiegel, betrachtete ihren Körper, ihre Formen, ihre Brüste. Sie waren noch so voll wie ehedem, etwas zu schwer für die Natur, sodass sie ein wenig herabhingen. Sie ergötzte sich an ihren eigenen Brüsten, tastete sie ab, befühlte sie. Noch war nichts von einer aufgeschwemmten Brust zu sehen. Und die Schenkel? Mein Gott, die Oberschenkel zeigten das gleiche Symptom wie das Gesicht. Sie waren ohnehin etwas zu dick. Auch hier blieben Dellen zurück, wenn sie mit den Fingern hinein tippte.
Bianca legte sich aufs Bett und fiel zurück in die Kissen. Sie schlief noch ein wenig. Als Lena kam, sagte sie:
„Lena, wir wollen die Morgenmahlzeit gemeinsam einnehmen. Komm ich lade dich ein.“
Ein Zimmermädchen brachte das Frühstück auf einem Elfenbeintablett mit Bronze- Edelstein- und Koralleninkrustationen. Darauf boten sich zwei herrliche Tassen aus Perlmutt an. Die eine hatte Ihr Papst Gregor XIII. geschenkt. Die andere war eines der seltenen Geschenke ihres Schwagers, Kardinal Ferdinando.
„Oh, mein Gott, durchlauchtigste Hoheit“, stammelte Lena, „ich darf aus dieser Tasse trinken?“
„Ja, Lena, warum nicht? Du bist mir eine meiner liebsten Freundinnen, auch wenn du nur als Zofe angestellt bist. Du aber teilst nahezu alle intimsten Geheimnisse mit mir, schon seit langer Zeit.“
„Viele Geheimnisse, Hoheit, nicht alle.“
Bianca lachte. „Du hast recht, nicht alle. Alle ist auch nicht notwendig. Aber warum sollst du nicht aus dieser wunderschönen Tasse trinken? Es ist ein besonderes Erlebnis. Ich habe heute einen besonderen Tag. Ich möchte ihn mit dir teilen.“
„Ich bin Euch zu größtem Dank verpflichtet. Ihr wisst, ich kann solche Güte nicht zurückgeben.“
„Das ist nicht notwendig. Ich freue mich ganz einfach, dich bei mir zu haben.“
„Was ist, wenn ich die Tasse fallen lasse?“
„Nichts ist. Du wirst sie nicht fallen lassen. Und wenn, ist es auch kein
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