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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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sinnlosen Worte zurückhalten konnte.
    Schwebend in den Armen Ihres toten Sohnes wandte sich die Frau noch einmal um.
    „Ich, Herzogin, ich habe es mir erlaubt. So, wie Euch unerwünscht und frei der Schmerz und die Qual jederzeit begegnen werden, so habe ich mir erlaubt, Euch zu begegnen und wieder zu gehen.“
    Mit schnellem Schritt entschwand die alternde Frau dem Zugriff der Herzogin.
    Das leise Gespräch schien den begleitenden Gardisten und dem Mädchen Lena im Hintergrund ein Triumph Biancas. Hatten sie doch die Ohrfeige der Herrin in das Gesicht der Frau gesehen. Mit stolzer Anerkennung nahmen sie nun die Herrin in ihren Kreis und geleiteten sie in den Palazzo.
     
    Mit vehementen Schreien schreckte Bianca des Nachts aus einem finsteren Traum auf und zerrte an dem Goldbrokat durchsetzten Baldachinstoff des Bettes. Zofen eilten herbei mit flackernden Kerzen, die Erwachte zu beruhigen. Als Belohnung wurden sie von der angstverzerrten Großherzogin angeschrien:
    „Macht Euch hinweg, Ihr tragt die Lichter des Pietro.“
    Allein, Bianca erkannte nach kurzem Herumirren in der Welt der nächtlichen Geister den Sinn der eigenen Worte. Zitternd ließ sie sich den Nachtmantel von Lena um die Schultern legen. Nur ihr vertraute sie den Albtraum und die finsteren Gedanken der Nacht an.
    „Ich habe ihn gesehen, Lena, gehätschelt und verwöhnt von seiner Mutter, geliebkost und umarmt. Er war glücklich. Mir schenkte er nur ein mitleidiges Lächeln. Lena, ich fürchte mich vor der Ewigkeit.“
    „Oh, Großherzogin, suchte die Zofe sie zu trösten, „Ihr seid die Herrin dieser Welt. Was kann Euch geschehen? Man wird Euch auch im Jenseits huldigen.“
    „Man huldigte mir dort mit einem traurigen Lächeln, Lena. Ich habe es gesehen. Die Traurigkeit Pietros, die er für mich empfand, ließ mich in alle Ewigkeit erstarren. Ja, ich hatte dort mein eigenes Reich, in dem ich regieren konnte. Doch niemand scherte sich um mich. Selbst der Großherzog, Francesco, starrte einsam versonnen in ein finsteres Loch. Was hab ich getan, Lena? Was erwartet mich?“
    „Nichts, was Ihr nicht schon hättet.“
    „Hinaus mit dir“, schrie die Herzogin, „scher dich zum Teufel.“
    Sie wanderte erschüttert durch das nächtliche Schlafgemach. Kein Schatten verbarg ihre Einsamkeit, keine Kerze erleuchtete ihren traurigen Blick. Die flackernden Flammen der Öllampen ließen die Gespenster tanzen. Da gab es etwas, das hielt sie zurück, beschäftigte sie selbst dann, wenn sie es nicht wollte. Es klebte an ihr, ließ sie nicht mehr los. Es machte sie krank. Und so elend, wie sie sich fühlte, wusste sie keinen Weg, den Nachwirkungen der verborgenen Sünde zu entfliehen. Sie setzte sich auf einen Stuhl, erhob sich unruhig, versuchte sich wieder hinzulegen, dann erhob sie sich wieder, setzte sich vor das Fenster, dessen Blick in den wundervollen Boboli Park streifte. Ein erstes Dämmerlicht schickte seine dunstigen Strahlen in die Stadt. Trüber Nebel lag auch hier über den Gräsern, den Sträuchern und den restlichen Blumen, die das Ende des Sommers geduldig abwarteten. Schweigend hüllte sich die Natur in den weichenden Mantel der Nacht, ließ die Großherzogin alleine zurück.
    Ein Beißen und Kneifen im Magen machte ihr zu schaffen, als hätte sie Milliarden von Ameisen, die sie von innen her auffraßen.
    Sie wusste nicht, wie lange sie in dieser Qual gehockt hatte, als einzelne Sonnenstrahlen das Grau durchstießen. Stille lag über dem nebeltrüben Land. Die grauen Gräser ruhten, feucht aneinander geschmiegt, auf dem nassbraunen Boden.
    Mit wilden schmerzhaften Schreien löste sich die Seele der schönen Bianca und fand keinen Weg aus der kaltgrauen Wildnis ihrer Verzweiflung. Was war geschehen, das ihren Schmerz entfachte, wie das Feuer einer brennenden Stadt? Sie liebte Francesco, sie gehörte ihm, sie kühlte sein einsames Leben mit dem wohltuenden Balsam ihres Körpers. Er war ihr verhaftet, er war ihr hörig, doch spürte sie die trennende Mauer, die sich von Tag zu Tag vergrößerte, ihn fremd werden ließ. Das warmherzige Lächeln, die liebevolle Geste versiegten im Misstrauen seiner zweifelnden Suche. Wilde Wahnbilder streiften ihr Herz, Bilder, die sie nicht losließen, ihren Atem versengten, ihre zarte Hand erzittern ließ. Mit jedem Tag entfernte die sich lohnende Schönheit mehr. Biancas Alter hinterließ Spuren.
    Aus Sucht oder aus Verzweiflung vertieften sich beide in die Experimente der Alchemie. Dennoch war kein Erfolg

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