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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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ungewollt, riss an mehreren Stellen ein. Er machte sich Gedanken, ein neues Papier zu verfassen. Schlimmer als dieses Stück Hoffnung in seinem Hosensack aber war das Schweigen aus dem Palazzo Cappello. Der Herr des Hauses war wieder einmal mit einem Schiff in den Mittelmeerraum abgereist. Das waren Nachrichten, die in der Bank verbreitet wurden.
    Aus den Erzählungen Biancas ahnte Pietro, dass seine Freundin in diesen Zeiten stärker unter den Maßregelungen ihrer Stiefmutter zu leiden hatte. Die Cembalolaute aus dem offenen Fenster am Canale Grande schienen diese Gedanken zu bestätigen. Wie lange aber sollte er noch warten? Es konnten durchaus Monate vergehen, bis der Hausherr wieder in heimatlichen Gefilden auftauchen und seiner Tochter ein wenig mehr Freiraum verschaffen würde. Den Gedanken, in den Palazzo Cappello einzudringen unter irgendeinem Vorwand, verwarf er schnell. Er würde im Piano Nobile empfangen werden von einem Vertrauten des Hausherrn, dort seine Botschaft loswerden müssen und dürfte dann wieder gehen, ohne Bianca auch nur einen Augenblick zu Gesicht bekommen zu haben. Im Gegenteil sollte ihn die alte Hexe per Zufall wahrnehmen, wäre es um seine Liebe geschehen. Sie hatte ihn kurz mit Bianca gemeinsam im Garten gesehen und würde ihre Eifersucht nicht im Zaum halten.
    Während seine Gedanken die heftigsten Sprünge machten, um seine Liebste wieder sehen zu können, entdeckte er Cattina auf dem Markt. Er näherte sich von hinten der einkaufenden und an einem Stand verhandelnden Frau. Ohne sich umzudrehen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, ohne dass er sein Papier loswerden konnte, sprach die Amme.
    „Die Herrin erwartet Euch, kurz nachdem die Glocken von St. Marco fünf geschlagen haben.“
    „Was, wie …? Wo werde ich …?“, stotterte Pietro, um den Treffpunkt genauer zu ergründen.
    Wieder war das Weib ihm längst entwischt. Keine noch so einfache Nachfrage war möglich, keine genauere Kenntnis. Er war gewohnt, mit präzisen Daten zu arbeiten. Doch was sollte er mit dieser Angabe? An welchem Tag? An welchem Ort? Bianca hatte ihn erneut mit der Schnelligkeit ihrer Gedanken überfahren, hatte von ihm verlangt, im Voraus zu denken, schneller zu sein als alle anderen. Während er noch an seinem nutzlosen Stück Papier herumhing, hatte ihn ihre neue Idee überrascht. Pietro ärgerte sich über sich. Fiel ihm nichts anderes ein, wenn er an sie dachte, als die vergangenen Tage und Wochen zu wiederholen? Gab es nicht den Punkt, an dem er die Führung übernehmen konnte? Es war fatal. Die Abhängigkeit hasste er.
    Er verfehlte Bianca auf Schritt und Tritt. Zum Glockenschlag bummelte er unter ihrem Balkon. Sie war nicht zu sehen. Nicht am ersten, nicht am zweiten und nicht am dritten Tag. Der vierte Tag ließ ihn vor dem Hauptportal des Palazzo warten. Vergeblich. Die Suche nach Bianca auf dem Marktplatz am Tag danach war vergeblich.
    Nachts verzehrten ihn seine Sehnsüchte, in die sich nun die Sorge mischte, sie könnte sich inzwischen mit einem anderen treffen, mit einem Hauslehrer oder sonst wem, den sie näher im Hause bei sich hatte. Er hörte von den künstlerischen Ereignissen im Palazzo Cappello, zu denen er nicht mehr geladen war. Wie sollte er Kontakt mit Bianca aufnehmen? Sie würde ihm entfliehen, sich seiner entziehen, hatte genügend Männer um sich herum, die ihrer Schönheit, ihrer Herkunft und ihres Reichtums würdig waren.
    Pietro Bonaventuri gab auf, er wollte sich nicht mehr zum Narren machen lassen. Was konnte ihm die schönste Frau aus Venedig geben, wenn er gerade dabei war, seine Würde zu verlieren? Sollte er sich doch lieber ein Mädchen aus den unteren Schichten suchen, das ihm dankbar sein würde, mit ihm, dem Bankkaufmann, zu schlafen und vielleicht sogar seine Frau zu werden. Er war zu gering für Bianca, ein falscher Ton in ihrem Konzert des Lebens.
    Was er gewöhnlich nicht tat, unternahm er an diesem Tag. Er kleidete sich so schlecht wie möglich, huschte am Abend aus dem Haus seiner Wirtin und schlich in die Osteria in der Nähe seiner Bank. Dort suchte er seine Traurigkeit im Wein zu ersäufen. Mit gesenktem Haupt schaute er den kleinen Wellen in seinem Weinglas zu, dachte nach über sein Leben und dass es besser wäre, aus dem Leben zu scheiden. Warum bloß, fragte er sich immer wieder hat sie mir solch positive Signale gegeben? Will sie mich verletzen, um ihre Größe zu demonstrieren und mich noch niedriger zu machen? Er fand keine Antwort auf seine

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