Der Schwur der Venezianerin
musst du nicht gleich heiraten.“
„Meine Blutungen sind ausgeblieben. Ich spüre ein Kind unter meinem Herzen. Ich will dem Kind den Vater geben, den es verdient hat. Daher werde ich den Mann, meinen Liebsten, heiraten.“
Entsetzen zeigte sich in den Augen der Stiefmutter. Sie versuchte verzweifelt, ihre Fassung zu wahren.
„So, das alles willst du auf einmal? Wir werden dir sagen, was du willst. Was du zu wollen hast. Nach Liebe, Kind unter dem Herzen, richtigem Vater für das Kind hat in unseren Familien noch niemand gefragt. Auch du hast nicht danach zu fragen. Was hat deine tote Mutter bloß für einen Balg geboren, woher nimmst du diese Frechheiten. Ich sage dir nur eines, zügle deine Gier. Heirate den, den wir dir bestimmen. Das Wohl der Familie steht auf dem Spiel.“
„Das Wohl oder das Geld der Familie?“, warf Bianca ein.
Wenn Lucrezia eins nicht verkraften konnte, dann war es die überhebliche Sicherheit ihrer Stieftochter.
„Hüte dich, Göre, sonst werde ich dich prügeln lassen, bis du das Kind verlierst. Dann wirst du Grund genug haben, einen von uns bestimmten Ehemann zu heiraten.“
Die Tochter des Cappello sah Tante Gritti vor sich, den Kreis der selbstständigen Frauen und Künstlerinnen, die ihr glückliches Leben nach eigenem Geschmack einrichteten, sie sah aber auch die Verfehlungen der angesehenen Häuser und Familien dieser Welt. Sie wusste, wenn sie jetzt aus Schwäche, aus Tradition oder Angst nachgeben würde, hätte sie kein anderes Leben zu erwarten als all die vielen Frauen dieser Welt, die ihre Zeit am Fenster des Piano Nobile mit Strickarbeiten verbrachten. Ihre eigene Kreativität und Schaffenskraft würde in den Niederungen des Geldes untergehen. Ihr Widerstand rührte sich.
„Ich werde den Vater meines Kindes heiraten, ich werde den Mann heiraten, den ich liebe.“
Bianca hatte sich vor der alten Hexe, wie sie ihre Stiefmutter noch immer insgeheim nannte, aufgebaut. Sie spielte nicht das Spiel der Liebe. Sie spielte das Spiel des Widerstandes.
„Schweig, du ketzerisches Kind“, Lucrezia versuchte, Hand an Ihre Stieftochter anzulegen.
Der Bruder erschien in der Tür und konnte gerade das Schlimmste verhindern.
„Wir werden das mit Vater besprechen, griff er ein und nahm seiner Stiefmutter den Wind aus den Segeln.
Ob sie Pietro Bonaventuri liebte? Welche Frage! Ob sie einen anderen Mann, den sie verordnet bekam, lieben würde? Danach fragte auch niemand. Sie hatte andere Pläne, die in ihr wuchsen und mehr Gestalt annahmen. Sie gedachte der Erwähnung des toskanischen Herzogs durch ihren Lehrer Messer Balzano, sie dachte an den florentinischen Hof. Vor allem erneuerte sie ihren Schwur, den sie sich vor langer Zeit gesetzt hatte. „Die Verbindung mit Bonaventuri, das Kind, das in ihr wuchs, waren sie nicht eher der nächste Schritt zu diesem Ziel als ein Hindernis?
Worin unterschieden sich die Pläne ihres Vaters von ihren eigenen? Immer wieder stellte sie sich die Frage und suchte nach Antworten. Die Variation ihrer Gedanken und Lösungen waren ihre Hauptstärke ihrer Stiefmutter gegenüber. Lucrezia kannte nur die eine, die steife Konvention. Sie selbst sah sich variabel in ihren Lösungen.
Beide, ihr Vater und sie trachteten nach Ehre, Ruhm, Adel, Reichtum, politischem und kirchlichem Einfluss. Der Unterschied lag in einem einzigen Punkt. Biancas Ziele waren höher gesteckt. Sie wollte mehr erreichen als Vater. Eine Ehe, die den Wunsch des Vaters erfüllte, entsprach eben nur dem Ziel des Vaters. Er hatte Florenz nicht in seinem Kalkül. Sie würde gerade jetzt ihre eigenen Wege gehen müssen.
Es war ein Versuch wert gewesen, die Erlaubnis zur Hochzeit zu erhalten. Aber es war auch eben nur ein Versuch, mehr hatte sie sich davon nicht versprochen. Nun war dieser Weg versperrt. Bedrohlich nah rückte demgegenüber eine verordnete Hochzeit mit einem der venezianischen Galane. Pietro Bonaventuri hatte ihr zum Überfluss auch noch gestanden, dass er keineswegs aus dem Geschlecht der vermögenden Bankfamilie Salviati stammte, sondern dass er nur in deren Auftrag Geschäfte abwickelte.
Zur Heirat mit einem armen Schlucker, dessen Adern noch nicht einmal adliges Blut durchströmten, würde sie erst recht nicht die Erlaubnis erhalten. Bianca nahm die Situation an, wie sie war. Sie würde keinen der vermögenden Venezianer heiraten. Sie hatte die infrage kommenden Männer längst bei Festen und Empfängen kennengelernt. „Geschmückte Pfauen“, meinte sie
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