Der Schwur der Venezianerin
Die Kleidung, den jungen Mädchen in Florenz nicht unähnlich, sollte ihre Wohlanständigkeit demonstrieren, wenn sie wirklich von einem Mädchen getragen wurde. Biancas Körperformen jedoch waren voll ausgereift und füllten vor allem das Mieder üppig. Ebenso das bodenlange Kleid, das farbig nur den jüngeren Mädchen zustand und von den entwickelten Töchtern ausschließlich in Schwarz getragen werden sollte, umschmeichelte ihre Weiblichkeit mit einem rotbraunen, leichten Wollstoff. In allem abgestimmt verlieh ihre Kleidung ihrem blonden Haar einen goldgelben Glanz. Ein kleines Goldcollier von sichtbar geringem Wert trug sie um ihren Hals. Mit einigen wenigen, ebenso geringwertigen Perlen, die das Mieder schmückten, stellte die Kette den einzigen Schmuck dar. Ein leichtes, hautfarbenes Seidennetz, die ‚poste‘ hatte sie um ihre Schultern gelegt, in dem sichtlichen Bemühen, Busen und Hüften vor den Männerblicken zu verbergen. Jedoch offenbarte jede ihre leichten Bewegungen den hinter den Kleidungsstücken verborgenen Schatz weiblicher Anziehungskraft. Der mürrische Herzog beobachtete gleichermaßen seinen Sohn. Die Kleidung eines unschuldigen Mädchens über dem reifen Körper einer äußerst schönen Frau verschaffte der jungen Venezianerin die Wirkung einer Kindfrau, deren Reize sich gerade ein junger Francesco nicht entziehen mochte, wie es der Vater bemerkte.
Auf diese Wirkung hatte es die um Schutz suchende Frau abgesehen, hatte sich lange vorher dieses Kleidungsstück bei einem venezianischen Schneider in Florenz anpassen lassen.
Nun stand sie vor den Mächtigen des Herzogtums Florenz. Wenn sie jetzt versagte, bekäme sie keine weitere Möglichkeit. Sie ahnte, entscheidender wäre Cosimo, aber auch der Sohn hätte ein Wort mitzureden.
Das zarte Wesen bat um Hilfe, und doch lag in den niedergeschlagenen, verschleierten Augenliedern das turbulente Versprechen der ganzen Welt, forderten und schenkten sie gleichermaßen die lieblichsten Genüsse, die wildesten Abenteuer. Was wollte diese Frau, deren sinnliche Schönheit über die Venus von Tizian triumphierte, dieses zarte Wesen an der Seite des ungelenken Mannes, der da steif und unbeholfen neben ihr verharrte. Was wollte sie in der Residenz des Herzogs der Toskana? Was brachte Francescos auf schwankendem Boden unsicher dahin blubberndes Leben mit einem Male so durcheinander?
Frauen betrachtete der Thronfolger bis dahin als das Ergebnis einer geschäftlichen und politischen Vertragsverhandlung, als das Objekt einer lüsternen Gesellschaft, die Befriedigung seiner so drängenden körperlichen Süchte, Frauen waren vielleicht noch das schöne, farblich aufhellende Accessoire jeden gesellschaftlichen Ereignisses.
Nun diese hier!
Francesco d’Medici, begehrter Kronprinz der Toskana, ältester Sohn des machtvollen Cosimo, künftiger Herrscher über das Reich in der Mitte Italiens verfluchte seine schwankenden Sinne. Dieses Weib hatte ihn gefangen, wie der Glockenschlag von Santa Maria delle Fiori die Gläubigen in die Kirche befahl. Mit seidenen Fäden spann die unsichtbare Kraft der Göttlichen ein Netz um sein trostloses Dasein.
Sie wandte sich ihm ehrerbietig zu, schlug ihre zart bewimperten Lieder nieder, als seine braunen Augen offen auf ihrer atemberaubenden Botticellischönheit ruhten. Die wunderbaren Lippen fingen mit ihrer saugenden Lieblichkeit seinen Körper ein. Ihr blondes Haar fiel unter dem Seidenschleier weich über die zarten Schultern. Als sie ihren Blick hob, drang sie besitzergreifend in ihn ein und ließ ihm keine Wahl zur Flucht. Francesco spürte die Stunde seines Schicksals, er empfand die Macht, die sein Leben lenken könnte.
Trübsinnig, wie er an den meisten Tagen zu sein schien, war er der Aufforderung des Vaters gefolgt, an dieser Audienz teilzunehmen. Er hatte sich wie bisher nur Langeweile und Uninteressiertheit vorstellen können. Der übermenschliche Hauch ihrer Schönheit, die Sinnlichkeit und üppige Weiblichkeit ihrer Körperformen hatten seine düstere Traurigkeit in einer irdisch nicht fassbaren kurzen Zeit hinweggewischt. Dabei hatten sie noch Platz geschaffen für den Empfang einer glücklichen Botschaft und den Willen aufgebaut zu einem klaren „Ich will dich haben.“
Cosimo, Herzog der Toskana, dessen intrigantes, spionagedurchtränktes System von aller Welt gefürchtet war, der Mann, der gleichermaßen Furcht und Anerkennung erfuhr, schaute ärgerlich auf seinen schwankenden Sohn.
„Der Kronprinz der
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