Der Schwur der Venezianerin
„Bis jetzt hast nur du davon gesprochen und geträumt. Du kennst Cosimo nicht. Er wird nicht wegen deiner Schönheit mit Venedig einen Streit heraufbeschwören.“
„Er braucht keinen Streit heraufbeschwören. Er soll mich nur beschützen.“
„Er hat Kinder umbringen und verstümmeln lassen, Frauen, auch sehr schöne vergewaltigen und quälen lassen. Und du meinst, du wärst eine Ausnahme?“
„Cosimo hat keinen Auftrag zur Vergewaltigung und Verstümmelung gegeben. Das hat sein Feldherr alleine entschieden.“
„Und du meinst er trüge keine Verantwortung dafür?“
Wie sie diese ewige Nörgelei ihres Gatten hasste! Anstatt eine gemeinsame Lösung zu suchen, machte er ihr gefragt oder ungefragt Vorwürfe.
Unabhängig von den Ängsten und Nöten Pietros, machte sich Bianca Gedanken darüber, wie sie Ihr Leben an einem sicheren Ort fortsetzen könnte.
Inzwischen sprach man in Gassen und Kneipen, auf Marktplätzen und vor den Kirchen davon, Cosimo habe seinen Schutz der geflohenen Patrizierin aus Venedig verweigert. Das schien ihr doch ein zu gefährlicher Vorgang. Er verschärfte ihre bedrohliche Situation. Mit dem Gerede gelangte dieses Wissen noch schneller an die Schergen Lucrezias, und die Gefahr nahm jeden Tag zu, entführt zu werden.
Inzwischen aber hatte sich die junge Bianca an die Freiheit gewöhnt. Schon über die Wochen der Flucht durch den Apennin und jetzt auch noch über das zwar eingeschränkte Leben in Florenz frohlockte sie. Entbehrungen und Einschränkungen nahm sie in Kauf. Alles brachte ihr mehr Freiheit als die Tage in Venedig, eingesperrt von der Stiefmutter.
Bisher hatte sie keinen Kontakt zu Cosimo oder einem seiner Minister bekommen können. Sie fand keinen Weg.
Noch einmal versuchte sie es mit herkömmlichen Schritten - mit einem Bittschreiben - und erhielt diesmal als Antwort eine Einladung in den Palazzo Vecchio.
Das war ihr Weg, als sie mit ihrem Mann Pietro am 16.Juni1563 zu einer Audienz gelangte. Ihr Ziel war der persönliche Schutz des Herrschers Cosimo, wenn sie ihn zu Gesicht bekamen.
In der Nacht zuvor noch träumte Bianca die Worte Ihres Lehrers Valeriano Balzano in lebendigen Bildern.
Die menschenunwürdigen Unterwerfungen mit Hilfe von nackter Gewalt, Intrigen und Verleumdungen, mit Denunzierungen und Vergewaltigungen, vor allem der einstmals wunderschönen und reichen Stadt Siena, hatte den Untertanen des Diktators Angst und Schrecken eingeflößt. Die schöne Bianca Cappello suchte nun Schutz bei ihm, bat ihn um das sichere Geleit in seinem Staat.
In Gedanken suchte sie die Lehrstunden bei Tante Gritti auf. Was würden die Damen in dem erlauchten Kreis davon halten, wenn sie die Ziele ihres Schützlings kennen würden?
Ihre Antwort bei sich selbst war schnell gefallen.
„Er ist für mich genau der Richtige.“
Niemals zuvor hatte Francesco, der Sohn und designierte Nachfolger Cosimos, eine solche Erregung all seiner Sinne erfahren, wie an diesem Tag. Der Pulsschlag an seiner Halsader, sein kurzer Atem, das leichte Vibrieren in seinen Händen, all dies wies auf verräterische Signale hin. Er fühlte eine Schwäche in seinen Beinen. Doch wusste er nicht, ob diese Weichheit nicht von den chemischen Dämpfen herrührte, die er seit geraumer Zeit bei seinen Experimenten einatmete.
Dem Aufrichtigkeit fordernden Blick des Vaters wich er erschreckt aus. Sogleich richtete sich all seine Aufmerksamkeit erneut auf das liebliche Wesen, das ihn in seinen Bann zog. Die blonde Erscheinung hatte ihre zarten Hände vor dem Körper verschränkt, den Blick senkte sie scheu vor den Hoheiten. Das und noch vielmehr sind Kenntnisse aus der Schule Tante Grittis, formulierte sie in Gedanken.
Mit dieser Audienz betrat sie eine andere Welt.
In den Kleidern eines venezianischen Mädchens war sie vor Cosimo I. und dem Thronfolger Francesco zur Audienz erschienen. Nicht umsonst hieß das Kleidungsstück, das sie trug ‚Tochter Venedigs‘. Die zarte Unschuld eines verfolgten Kindes wollte sie eher demonstrieren als eine weibliche Schönheit, der die Männer zu Füßen lagen. Das war der Weg, wie sie Cosimos Sinne zu beeinflussen gedachte.
Cosimo, selbst den weiblichen Reizen nicht abgewandt, betrachtete die junge Frau Cappello aufmerksam. Ein zarter, langer, weißer Schleier, der „fazzuolo“ fiel von ihrem Haupt, bedeckte das schöne Gesicht und die volle Brust. Doch war er durchsichtig. Dadurch betonte die Verhüllung weich wie eine Andeutung ihre körperlichen Konturen.
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