Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
Vom Netzwerk:
dem großen Palazzo korrigierte sie ihre Gedanken. Beim Einkauf auf dem Markt schaute sie nicht ehrfurchts- und sehnsuchtsvoll den Bediensteten aus den großen Häusern nach. Die Bilder von Dienern, Sänften und Hofdamen in den Straßen formten ihr Bild nach eigener Wertschätzung und nach eigenem Lebenswandel.
    Ihre Familie Cappello hatte die Schmach, die ihr die Tochter angetan hatte, nicht vergessen. Die Tochter war entflohen, mit einem Bankangestellten einer unbedeutenden Familie in Florenz. Das Vermögen ihrer verstorbenen Mutter lag unantastbar für die Herrscher im Palazzo Cappello bei einer Bank in Florenz. Bianca würde darüber verfügen können, wann immer sie es mochte. Das war sicher der größte Schmerz, der den Vater und die Stiefmutter getroffen hatte. Selbst die beiden Gemälde der Großen der Kunst Tizian und Tintoretto waren auf geheimnisvollem Wege nach Florenz gekommen. Ihr Bruder hatte dabei tatkräftig mitgeholfen. Bianca grinste bei diesem Gedanken an Lucrezia. Die Stiefmutter hatte die Erinnerungen an Pellegrina und familiären Bindungen über Schwierigkeiten hinweg unterschätzt.
    Doch hatte sie auch von ihrem Bruder in einem langen Brief von den Wegen gehört, die Lucrezia gehen wollte, um ihr Familienleben wieder in Ordnung zu bringen. Die Spione und Agenten der reichen Familien saßen überall, unterstützten sich gegenseitig in dem Bestreben, ihre Reichtümer nicht durch unbedachtsame Handlungen vernichten zu lassen. Nicht die wirkliche verfehlte Handlung entwickelte sich zum Störenfried in den Augen der Übermächtigen, das erahnte, vermutete Vergehen rief jede grässliche Strafe bis hin zur Folter und zum Todesurteil hervor. Daran kam auch nicht die Tochter eines der reichsten Häuser Veneziens vorbei. Gerüchte, kolportiert von den Händlern und Handwerkern, den Fahrensleuten und Sängern, trugen die schreckliche Botschaft mit sich, in welcher Gefahr die schöne Bianca schwebte. Die eigene Familie ließ sie heimlich beobachten und hinterrücks beschatten. Sie sollte mit Gewalt entführt und nach Venedig zurückgebracht werden, dort einen vorgegebenen Messer heiraten. Die Ehe mit diesem Bonaventuri, das würde sich schon klären lassen. Mit oder ohne die Hilfe des Papstes. Mit oder ohne die Hilfe eines kleinen tödlichen Unfalles. Ungehorsam gegen die Entscheidungen der Familie, gegen die Allmacht der Sippe, brachte die Strafe des Clans mit sich. Sie konnte furchtbarer sein, als die Strafen der weltlichen Gerichtsbarkeit. Bianca geriet in höchste Besorgnis, suchte nach einem Ausweg und begann sofort mit der Arbeit. Sie nahm ein Stück Pergament, eine Feder und Tinte und wandte sich in ihrem Schreiben an den Herzog der Toskana. Darin bat sie Cosimo um seinen Schutz als Neubürgerin des Staates Toskana. Sie wusste, die Medici würden sie nicht im Stich lassen. Alle seine Handlungen gingen bis jetzt um die Macht- und Besitzerweiterung auch im eifersüchtigen Kampf gegen die Lagunenstadt. Wenn er den Venezianern eins auswischen konnte, dann tat er es. Und wenn es um ihre persönliche Sicherheit gegen die Unterdrückung durch die Cappello ging, erst recht.
    Das Pergament rollte sie zusammen und verschnürte es mit farbigen Bändern. Einen Boten beauftragte sie, das Schreiben im Palazzo Vecchio aufzugeben.
    Cosimo, der starke Herrscher der Toskana, das Vorbild Macchiavellis zu seinem „Il Principe“, würde sie niemals im Stich lassen. Dieser Herrscher hatte sein Gebiet weit über Siena ausgedehnt und seine Fühler bis nach Rom und Mailand ausgestreckt. Er war der Inbegriff an Macht und Durchsetzungskraft.
    Bianca wartete eine Woche und drei Wochen. Aus dem Palazzo erhielt sie keine Antwort. Kein Schreiben, keine Audienz, noch nicht einmal eine Ablehnung.
    Ihre Enttäuschung hinterließ eine größere Leere, als es der Verrat ihres Vaters an ihr hätte bewirken können.
    Mit Tränen in den Augen fragte sich Bianca, „wie soll ich mich vor den Spionen aus dem Hause Cappello retten können? Wird nicht jeder Gang in die Kirche, auf den Markt, ja jeder Spaziergang zu einem gefährlichen Abenteuer?“
    Sie starrte auf das Kloster San Marco:
    „Ist mein Leben in Florenz unter solchen Bedingungen nicht unerträglich?“
    „Wohin“, so fragte sie sich, „kann ich noch fliehen?“  

Cosimo
    „Höre zu Pietro“, sagte sie, „rede nicht zu viel darüber, mit wem du verehelicht bist. Noch ist uns der Schutz der Medici nicht sicher.“
    „Wird er uns jemals sicher sein?“, zweifelte er.

Weitere Kostenlose Bücher