Der Schwur des Maori-Mädchens
jammerte: »Sie haben uns alle im Stich gelassen. Viele der Gäste sind gar nicht erst gekommen. Kein einziger aus Auckland ist da. Das ist eine Katastrophe. Ich könnte diesen Rebellen eigenhändig erwürgen. Er hat mir das schöne Fest verdorben. Aber kommt doch herein!«
Dafür, dass angeblich alle abgesagt hatten, standen für Matthews Geschmack noch genügend wohlbeleibte Pakeha auf der Veranda herum. Unter ihnen erkannte er auch den Kommandeur der Hazard, Kapitän Robertson, an seiner prächtigen Uniform. Der aber schien nicht ganz bei der Sache zu sein und ließ den Blick immer wieder prüfend über die Bucht schweifen. Um sich zu vergewissern, dass dort draußen noch alles ruhig war, mutmaßte Matthew. Ganz im Gegensatz zu den übrigen Männern, die scheinbar unbeschwert miteinander plauderten und dabei dicke Zigarren qualmten. Beim näheren Hinsehen erkannte Matthew allerdings, dass sie ihre Anspannung nur zu verbergen suchten. An der hektischen Art, wie sie an ihren Zigarren zogen, verrieten sie sich. Nur Henry schien unbeschwert wie eh und je. Er unterhielt sich angeregt mit einem hochgewachsenen Herrn in einem feinen Anzug. Als er seine Eltern erblickte, stellte er ihnen seinen Gesprächspartner mit den Worten vor: »Das ist Mister Lambton von der New Zealand Company. Die Gesellschaft plant in Wellington und Wanganui Land für die Krone zu erwerben, und ich könnte vielleicht mit einsteigen.« Sein ohnehin rotes Gesicht war vor Aufregung noch dunkler gefärbt als sonst. Sein Atem dünstete bereits Alkohol aus. Emily lächelte gewinnend, während Walter nur »Schön, schön!« murmelte und sofort im Haus verschwand.
Matthew hingegen drückte sich in eine Ecke der Veranda. Ihn hatte Henry dem Vertreter der Company gar nicht vorgestellt. Und das ist auch besser so, dachte Matthew. Waren die Herren der Company doch nicht gerade als Freunde der Maori bekannt. Im Gegenteil, es wurden immer häufiger Fälle ruchbar, dass sie Stammesführer bei den Verhandlungen über den Tisch gezogen hatten.
Erst jetzt merkte Matthew, dass ihn eine Gruppe junger Mädchen in festlichen Kleidern anstarrte, bevor die Erste von ihnen in albernes Gekicher ausbrach. Matthew blickte unauffällig an sich hinunter, ob er sich vielleicht bekleckert hatte, doch er konnte nichts feststellen. Doch dann dämmerte ihm, dass er offenbar der einzige Maori inmitten dieser Gesellschaft war. Als die Mädchen nun gickelnd mit den Fingern auf ihn zeigten, streckte er ihnen die Zunge heraus, woraufhin die alberne Schar kreischend fortlief. Matthew fragte sich, wie er bloß die Zeit bis zum Anbruch der Dunkelheit totschlagen sollte. Er beschloss, sich erst einmal satt zu essen. Drinnen bog sich eine Tafel voller Köstlichkeiten, an der man sich im Vorbeigehen bedienen konnte. Matthew langte ordentlich zu und wollte wieder nach draußen schlendern, als ihm eine Hand über das Haar fuhr. Erschrocken blickte er auf, doch es war nur June, die Einzige der Familie Hobsen, die Matthew überhaupt leiden konnte. June hatte immer ein freundliches Wort für ihn übrig.
»Na, was macht die Arbeit?«, wollte sie wissen.
Er hob die Schultern. »Alles gut.«
»Und deine Porträts?«
»Im Augenblick haben die Häuptlinge anderes im Sinn, als sich von mir malen zu lassen«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Aber ich darf für ein Versammlungshaus in der Nähe von Kerikeri für den Giebel eine Holzfigur von Kupe schnitzen, unserem großen Entdecker.«
»Das freut mich sehr - und gefällt es dir hier?«
»Danke, sehr gut«, erwiderte er höflich.
In diesem Augenblick trat Emily auf June zu. »Meine Liebe, dich habe ich ja noch gar nicht begrüßt. Wie geht es dir? Wie bekommt dir die Ehe?«, zwitscherte sie.
»Ich sehe Henry ja kaum noch. Er ist immer in Geschäften unterwegs«, seufzte June. »Wie schön wäre es doch, wenn ich Kinder hätte.«
Emily bekam auf der Stelle hektische rote Flecken im Gesicht. »Siehst du, genau das wollte ich dich fragen. Wäre es nicht an der Zeit, sich im Aucklander Waisenhaus umzusehen, wenn das hier alles vorüber ist?«
Jetzt erst nahm Emily ihren Ziehsohn wahr. Sie machte eine abwehrende Geste. »Vielleicht gehst du ein wenig nach draußen. Wir führen Frauengespräche.«
Matthew wollte sich gerade trollen, da hielt June ihn am Arm fest. »Bleib ruhig bei uns! Er kennt doch hier sonst kaum jemanden. Mich stört er nicht. Es weiß doch inzwischen jeder in der Bay of Islands,
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