Der Schwur des Maori-Mädchens
fest entschlossen, June dieses Kind als Waisenkind unterzuschieben. Natürlich regte sich hin und wieder ihr schlechtes Gewissen, das sie stets trotzig mit dem Gedanken zu beruhigen versuchte, dass sie es nur gut meinte und zum Wohl aller so entschied. Das Traurige war nur, dass Emily mit keinem Menschen über ihre Pläne reden konnte. Auch nicht mit Walter. Er hatte nicht ein einziges Mal, seit Maggy fort war, nach ihr gefragt, und immer wenn sie, Emily, Anstalten machte, das Thema anzuschneiden, dann stellte er sich taub. Das Einzige, was er in dieser Sache übernommen hatte, war, eine Familie in Auckland zu besorgen, bei der Maggy arbeiten konnte. So hatte sie ihm auch den Brief der Lehrerin verschwiegen und ihn in dem Glauben gelassen, dass Maggy bereits längst weit weg in der Hauptstadt war. Er würde sich nur unnötig aufregen, wenn er erfuhr, dass Maggy sich in den Kopf gesetzt hatte, einen Maori zu heiraten. Und was, wenn der entdeckte, dass der Vater ihres Kindes kein Maori war? Nicht auszudenken. Aber was würde Matthew sagen ? Er fragte ständig nach seiner Schwester, und sie log ihm dann vor, dass sie sich in der Mission so wohlfühle, dass sie unbedingt noch ein paar Wochen dort bleiben wolle. Gerade bei den unsicheren Verhältnissen in Russell. Aber auch ihr Ziehsohn machte ihr zurzeit mehr Kummer als Freude. Seit Walter ihn im Januar bei dem Versuch erwischt hatte, zum Fahnenmast zu gelangen, war das Verhältnis zwischen den beiden kaum mehr zum Aushalten. Natürlich hieß auch Emily es nicht gut, dass es Matthew mit aller Macht zu den Rebellen zog, aber durfte man ihn deshalb einsperren? Walter hatte solche Angst, Matthew könne sich aus dem Staub machen, dass er ihn abends nicht mehr aus dem Haus ließ. Er bildete sich ein, er habe den Jungen zu weich erzogen. So einer verstehe nur die harte Hand eines Vaters, nicht dessen Gerede über christliche Nächstenliebe. Emily teilte seine Einstellung nicht, doch auch ihr gegenüber war Walter längst nicht mehr so nachgiebig. Sie empfand ihn manchmal fast als grob. Was war nur aus dem frommen, schüchternen jungen Mann geworden, in den sie sich einst verliebt hatte? Vor allem erreichte er mit dieser Art der Erziehung bei dem Jungen rein gar nichts. Matthew war nach wie vor widerspenstig und tat in der Regel das Gegenteil von dem, was man von ihm verlangte. Umso mehr wunderte es Emily, dass er sich ohne Murren bereit erklärt hatte, sie zum sechzigsten Geburtstag von Mister Hobsen nach Kororareka zu begleiten. Das wertete sie als sicheres Zeichen, dass er von diesem Unsinn, sich zu Hone Hekes Leuten zu gesellen, Abstand genommen hatte.
»Da bist du ja endlich«, schnaubte sie, als sie ihren Mann die Treppe heruntereilen sah. Mit einem prüfenden Blick stellte sie fest, dass sein Anzug sauber war und richtig saß. Ihm folgte Matthew auf dem Fuß. Ihn werde ich sicherlich noch einmal nach oben schicken müssen, denn er wird aus Prinzip seine alte Jacke anziehen, vermutete Emily, so abgrundtief, wie er Mister Hobsen hasst. Doch so kritisch sie ihren Ziehsohn auch beäugte, alles an ihm saß tadellos. Was sie allerdings verwunderte, war das Köfferchen in seiner Hand. Schließlich wollten sie nur eine Nacht bleiben, aber sie sagte nichts.
»Oho, heute mal nicht barfüßig?«, stichelte Walter mit einem Blick auf die blank geputzten Halbschuhe seines Ziehsohnes.
»Walter, bitte, wir wollen uns doch nicht streiten«, wies Emily ihren Mann in scharfem Ton zurecht, woraufhin Matthew von einem Ohr zum anderen grinste.
»Dir wird das Feixen noch vergehen. Wenn dein Freund Hone Heke morgen jämmerlich scheitert und seine Männer unnötig in Gefahr bringt. Was ist er einst für ein guter Prediger gewesen! Der hätte er bleiben sollen, statt unter die Rebellen zu gehen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich seine Kinder getauft habe! Dass er ihnen so etwas antun mag«, schimpfte Walter, doch Matthew kümmerte sich nicht darum. Er war viel zu gut gelaunt, um sich von seinem Ziehvater provozieren zu lassen. Besser konnte es gar nicht laufen, als am heutigen Tag zusammen mit seinen Zieheltern auf die andere Seite der Bucht zu rudern und sogar dort zu übernachten. Der Vorschlag war von Walter gekommen, dass sie heute Nacht auf keinen Fall zurückrudern sollten. Und nach Einbruch der Dunkelheit aus einem Gästezimmer zu verschwinden, das sollte kein Problem sein. Matthew rieb sich vor Freude die Hände. Wie gut, dass er gestern zufällig Tiaki begegnet war. Sehr
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