Der Schwur des Maori-Mädchens
gesprächig war sein Freund allerdings nicht gewesen. Matthew hatte seine Schweigsamkeit darauf geschoben, dass er sich von ihm im Stich gelassen gefühlt hatte, weil er im Januar nicht zum Flaggenmast gekommen war. Er hatte es ihm erklärt, und Tiaki hatte nur müde abgewinkt. Das sei schon in Ordnung, hatte er wörtlich gesagt. Jetzt, als Matthew so darüber nachdachte, hatte sich der Freund äußerst seltsam benommen. Bei nächster Gelegenheit werde ich ihn fragen, ob alles in Ordnung sei, nahm er sich fest vor. Die Hauptsache war, dass Tiaki ihm bestätigt hatte, wann und wo sich die Rebellen einfinden würden. »Wir treffen ihn am oberen Blockhaus«, hatte er ihm zugeflüstert. »Warum erzählt Hone Heke eigentlich jedermann von seinen Plänen? Sogar meinem Vater«, hatte Matthew Tiaki gefragt. »Ist das nicht viel zu gefährlich?«
Der Freund hatte gelacht und mit der Übermacht der Rebellen geprahlt. Matthew war skeptisch geblieben. Sehr skeptisch sogar.
»Träumst du, oder willst du ins Boot getragen werden?«, fragte Walter spöttisch.
Matthew schreckte aus seinen Gedanken auf und kletterte flink in das Ruderboot. Sobald seine Zieheltern Platz genommen hatten, griff er nach den Rudern und brachte das Boot mit gleichmäßigen Schlägen über das spiegelglatte Wasser auf die andere Seite der Bucht. Dabei mussten sie an den vielen großen Schiffen vorbei. Matthew zählte fünf. Ein amerikanisches Kriegsschiff, einen britischen Walfänger, den Schoner Flying Fish, den Zweimaster des Gouverneurs Victoria und das englische Kanonenboot Hazard. Bei dem Anblick des Letzteren wurde Matthew mulmig zumute. Wenn die Besatzung es wollte, konnte sie Kororareka mit einem Streich dem Erdboden gleichmachen, und die Engländer würden das wahrscheinlich als glorreichen Sieg über die Aufständischen verkaufen. Matthew versuchte nicht mehr daran zu denken, was schiefgehen konnte, sondern sich auf das wesentliche Ziel zu konzentrieren: Der Mast musste noch einmal fallen. Das würde dieses Mal aber auch aus einem anderen Grund nicht mehr so einfach sein wie die Male zuvor, hatte man ihn doch inzwischen am Boden mit schwerem Eisen ummantelt, das keine Axt mehr so einfach durchschlagen konnte.
Am Steg herrschte reges Treiben. Mehrere Rotröcke und einige von Waka Nenes Männern empfingen sie mit Musketen, die sie auf die Ankommenden richteten.
»Ich bin Reverend Walter Carrington aus Paihia. Wir sind bei Mister Hobsen eingeladen.«
»Dann dürfen Sie passieren«, erklärte einer der Rotröcke höflich. Im gleichen Augenblick senkten die Soldaten und ihre Helfer die Gewehre und ließen die drei an Land gehen. Sie halfen sogar Emily aus dem Boot.
»Kein schöner Tag zum Feiern«, bemerkte der eine Soldat jovial.
»Besser, als sich in den Häusern zu verkriechen«, erwiderte Walter. »Wir haben keine Angst. Der Herr ist mit uns.«
Matthew verdrehte die Augen, was sein Vater aber glücklicherweise nicht bemerkte.
Auch auf dem Weg zum Haus der Hobsens begegneten ihnen wesentlich mehr Soldaten als Einwohner. Matthews Sorge wuchs. Nicht, dass er am kriegerischen Geschick des großen Hone Heke zweifeln wollte, aber die Präsenz seiner Feinde sprach eine deutliche Sprache. Erst nachdem sie den Ortskern verlassen hatten, wurde es ruhiger.
Das Haus der Hobsens lag oben auf einem der Hügel. Es war das größte und vornehmste Haus von ganz Russell und das mit dem besten Blick über die gesamte Bucht. Es war aus weiß gestrichenem Holz, und vor dem Haus befand sich eine riesige überdachte Veranda, deren Geländer und Säulen bis ins Kleinste kunstvoll geschnitzt waren. Schon als Matthew und seine Eltern in der immer noch heißen Märzsonne den steilen Berg emporstiegen, schallte ihnen das laute Gemurmel der Festgesellschaft entgegen.
Sie hatten die Stufen zur Veranda noch gar nicht erklommen, als ihnen Amanda Hobsen entgegeneilte. »Oh, wie schön, dass wenigstens ihr gekommen seid!«, rief sie überschwänglich. Emily und Walter blickten einander verwirrt an. So freundlich waren sie noch nie von der Schwiegermutter ihres Sohnes begrüßt worden. Sogar Matthew bedachte sie mit einem Lob. »Du sieht heute aus wie ein feiner junger Herr. Das lobe ich mir.« Doch als sie ihm sogar einen Kuss auf die Wange geben wollte, wich er erschrocken zurück. Sie aber merkte es gar nicht. Amanda sah schrecklich mitgenommen aus. Ihr aufgequollenes Gesicht war feuerrot, Schweiß lief ihr von der Stirn, und sie
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