Der Schwur des Maori-Mädchens
mischte sich Emily ein. »Natürlich liebt er sie. Sonst würde er sie doch wohl nicht heiraten wollen.«
Walter schluckte seine Gegenrede hinunter. Es hatte keinen Zweck. Die Ehe mit June schien eine beschlossene Sache zu sein. Und was war schon dabei, wenn sein Sohn in die reichste Familie der Bay of Islands einheiratete? Außerdem mochte er die bescheidene gottesfürchtige junge Frau wirklich von Herzen gern, nur hegte er erhebliche Zweifel daran, ob sie den ungestümen Henry wirklich würde zähmen können.
Walter stieß einen tiefen Seufzer aus und blickte gequält von seinem Sohn zu seiner Frau, während er mit betont fröhlicher Stimme verkündete: »Meinen Segen habt ihr.«
Mit zutiefst zufriedenem Gesichtsausdruck trat Emily auf ihn zu und nahm seine Hand. »Wusste ich doch, dass du dich freust, eine solch wunderbare Schwiegertochter zu bekommen.«
Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie zärtlich auf die Wange.
In diesem Augenblick trat Matthew ins Zimmer und wandte sich sogleich verlegen ab. Er war jedes Mal unangenehm berührt, wenn seine Zieheltern Zärtlichkeiten austauschten.
»He, Matty, das ist doch kein Grund, rot zu werden«, lachte Henry, was ihm einen bitterbösen Blick seines Stiefbruders einbrachte.
»Kümmere dich um deine Angelegenheiten!«, zischte Matthew zurück und fügte zornig hinzu: »Und wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht Matty nennen sollst? Mein Name ist Matui, und es ist schlimm genug, dass mich alle Matthew nennen.«
»Oho, der Kleine hat schlechte Laune. Welche Laus ist dir denn schon wieder über die Leber gelaufen?«, fragte sein Stiefbruder mit einem Grinsen auf den Lippen.
Matthew zog es vor zu schweigen und setzte sich mit finsterer Miene an den Tisch. In seinem Kopf ging alles durcheinander. Er quälte sich seit Tagen mit der Frage, ob es richtig war, dass er sich heute Abend drüben in Kororareka heimlich mit einigen Maori treffen würde, wenn es das Wetter erlaubte. Er war eben kurz vor der Tür gewesen, um sich selbst ein Bild von der Lage dort draußen zu machen. Der Regen hatte aufgehört, und der Wind hatte abgeflaut, aber das Meer war immer noch sehr aufgewühlt. Ob er die Überfahrt wirklich wagen sollte? Das kleine Boot war nicht mehr als eine Nussschale.
Als Matthew den Blick über den vornehm gedeckten Esstisch schweifen ließ, kniff er die Augen gefährlich zusammen. Wie ihn das öde Leben in diesem Haus langweilte! Wäre Maggy nicht gewesen, er hätte diesem Leben schon längst den Rücken gekehrt. Aber seine Schwester fühlte sich wohl im Haus des Reverends. Er durfte sie nicht gegen ihren Willen aus ihrer gewohnten Umgebung herausreißen. Als sich Maggy, die, wie immer still und leise, in den Raum getreten war, ihm gegenüber an den Tisch setzte, ging ihm das Herz auf. Niemals würde er einen Schritt ohne sie machen. Niemals würde er sie allein zurücklassen.
Doch sofort schweiften seine Gedanken wieder zu den jungen Kriegern ab, die er heute treffen würde. Sie gehörten zum Stamm der Nga Puhi und waren treue Anhänger ihres Häuptlings Hone Heke. Matthew, der außer seiner Schwester selbst keine Verwandten besaß, nachdem sein Stamm von gegnerischen Kriegern ausgerottet worden war, fühlte sich zu diesen Leuten hingezogen, als wären es seine eigenen Brüder. Ihm wurde heiß und kalt, als er sich an seine erste Begegnung mit Hone Heke erinnerte. Es war erst wenige Wochen her. Der Häuptling, ein eindrucksvoller, hochgewachsener, glutäugiger Mann mit schulterlangem welligen Haar, mit einer für einen Maori erstaunlich schmalen Nase, schmalen Lippen und einem ausdrucksvoll tätowierten Gesicht, war zu Besuch in die Mission gekommen. Schließlich war der Maori ein gläubiger Christ. Niemals würde Matthew vergessen, wie durchdringend er ihn aus seinen glühenden Augen gemustert und tama genannt hatte. Matthew verstand seine alte Sprache immerhin noch so gut, dass er wusste, dass dies nichts Geringeres hieß als Sohn. Und nun hatten ihn vor ein paar Tagen eine Hand voll junger Krieger in Hone Hekes Auftrag unten am Meer abgepasst. Sie hatten ihn gebeten, heute zum Maiki zu kommen, zu dem Berg, der über Kororareka thronte und auf dessen Spitze an einem Mast der Union Jack wehte.
»Träumst du bei Tisch? Hast du nicht gehört? Wir wollen beten. Wenigstens am Tage des Herrn!«, herrschte ihn Walter an. Das riss Matthew aus seinen Gedanken. Er straffte die Schultern und faltete mechanisch
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