Der Schwur des Maori-Mädchens
Jagdgeschichte angelangt.
»Darf ich schlafen gehen?«, fragte Matthew höflich.
Walter sah ihn erstaunt an. »Sicher, das Essen ist beendet. Geh nur!«
Matthew sprang auf und fuhr seiner Schwester im Vorbeigehen flüchtig über ihr züchtig aufgestecktes schwarz glänzendes Haar. Sie schenkte ihm ein Lächeln, das seine Stimmung sofort hob. Ja, für Makere hätte er alles getan. Er liebte sie mit einer Verzweiflung, als wäre sie der letzte Mensch, den es auf Erden gab. Und in gewisser Weise war es ja auch so. Sie beide waren die einzigen Überlebenden ihres Stammes. Schade nur, dass sie keine neue Maori-Familie suchte, sondern sich als eine Carrington fühlte, während er die Fühler nach den Nga Puhi ausstreckte.
Matthew ging auf sein Zimmer. Zärtlich strich er über den Federmantel seiner Ahnen, der immer griffbereit an einem Haken hing. Er verbarg den Kopf ganz tief in den Federn und meinte, den Duft seiner Kindheit zu riechen: nach einem Hangi, den Kumara, dem Holz im Marae ... Ja, er konnte sich noch dunkel an all das erinnern. Und auch an jene Nacht, in der die fremden Krieger gekommen waren und seine Familie ausgerottet hatten. An all das Blut... bevor man sie ...
Matthew hob beschämt den Kopf. Ja, er sollte dem weißen Missionar wirklich dankbarer sein, denn schließlich hatte er ihn vor dem sicheren Tod bewahrt. Er nahm sich fest vor, ab morgen gehorsamer zu sein und seinem Ziehvater mehr Freude zu bereiten. Und wenn er dafür erst einmal an der Druckmaschine lernen musste. Das Schnitzhandwerk konnte er doch in seiner Freizeit ausüben.
Ab morgen, schoss es ihm durch den Kopf, ab morgen werde ich ihm ein guter Sohn sein. Um keinen Preis würde er aber darauf verzichten, an diesem Abend wie verabredet die Maori-Freunde zu treffen.
Matthew hielt den Atem an, als er schließlich auf Zehenspitzen in den Flur trat. Im Haus herrschte vollkommene Stille. Der Reverend und seine Frau zogen sich meist gleich nach dem Abendessen in ihre Schlafräume zurück. Er schlich sich die Treppe hinunter in den Flur. Dort blieb er mit klopfendem Herzen noch einmal stehen und lauschte, doch es blieb alles still. Er nahm einen Mantel vom Haken und wollte gerade aus der Tür schlüpfen, als er eine Stimme hinter sich flüstern hörte: »Wohin so hastig?«
Erschrocken drehte er sich um und blickte in Henrys grinsendes Gesicht.
»Ich ... ich wollte nur noch einmal hinunter zum Wasser, ein wenig die Nachtluft schnuppern«, stammelte er verlegen.
Henry griff nun auch nach seinem Mantel. »Dann kannst du mich ja bis zum Boot begleiten«, schlug er vor. Er war betrunken, wie Matthew aus seiner schweren Zunge schloss.
Matthew stockte der Atem. »Boot? Du willst bei diesem Wetter doch nicht etwa rüber nach Kororareka!«
Henry hob die Schultern. »Ich muss«, erwiderte er immer noch breit grinsend.
An seinen gierigen Augen war für Matthew unschwer zu erkennen, was seinen Ziehbruder in den Höllenort zog. Er suchte das Vergnügen mit einem der leichten Mädchen, die an der Hauptstraße herumlungerten und sich an die Seeleute verkauften.
»Aber es soll heute Nacht noch ein Sturm aufkommen, und da ...«, log Matthew.
»Warum seid ihr so laut?«, unterbrach ihn eine raue Stimme. Er drehte sich zur Treppe um und erblickte seine Schwester, die in ihrem weißen Nachtgewand wie ein Engel dastand. Ein dunkler Engel allerdings, denn ihr langes schwarzes Haar, das sie sonst stets züchtig aufgesteckt trug, hing ihr fast bis zu den Hüften. Und ihre dunkle Haut bildete einen verführerischen Gegensatz zu dem weißen Leinen ihres Hemdes. Matthew erschrak. Es war unübersehbar, dass sie zu einer jungen Frau herangereift war.
»Schnell in dein Bett! Du erkältest dich sonst noch«, bemerkte er hastig. Wie schön sie aussieht, ging es ihm durch den Kopf, und ihm wurde warm und kalt zugleich. Er liebte sie abgöttisch, aber wie lange konnte er sie noch als Kind ansehen, das er beschützen musste? Würde sie nicht bald Verehrer anziehen wie das Licht die Motten?
Ihm entging dabei völlig, dass auch Henry das Mädchen intensiv musterte. Erst als ein zauberhaftes Lächeln über ihr Gesicht huschte, fragte er sich, wem es wohl galt, denn Maggy blickte an ihm vorbei. Matthew wandte sich seinem Ziehbruder zu, der den Mund zu einem zustimmenden Lächeln verzogen hatte. Ihm galt dieses Zeichen der Zuwendung also. Matthew fühlte sofort, wie die Eifersucht von ihm Besitz ergriff. Er konnte
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