Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
er die Augen.
»Sennor, Sie hier?« fragte er halb erstaunt und halb erfreut. »Sie haben – – –«
Er besann sich, und ich trat näher. Sein Auge leuchtete glücklich auf, indem er sagte:
»Ich erwachte, und mein Vater saß bei mir. Ich bat ihn, mich nicht Perdido sondern
Hallado,
den Wiedergefundenen, zu nennen. Ist es wahr, daß ich bei meinem Vater bin?«
»Ja, Sie sind bei ihm und werden von nun an bei ihm bleiben.«
»Und wem verdanke ich das?«
»Dem guten Gott, der die Schicksale der Menschen wie Wasserbäche lenkt.«
»O, dem guten Gott, von dem ich nichts wissen wollte, Sennor. Erinnern Sie sich Ihrer Worte, daß meine Zunge mir am Gaumen kleben würde? Es ist eingetroffen. Man senkte mich in die kalte Tiefe, daß das Wasser mir bis an den Leib reichte, und deckte das Loch über mir mit Steinen zu. Da habe ich um Hilfe gerufen und um Gnade gebeten; da habe ich Gott um Barmherzigkeit angefleht fort und immerfort, bis mir, wie Sie sagten, die Zunge am Gaumen klebte. Dann weiß ich nichts mehr. Später aber war es mir, als ob ich in Ihren Armen gelegen hätte.«
»Das war allerdings der Fall. Wir hatten Sie aus dem Loch geholt und wollten Sie Ihrem Vater bringen.«
»Wie lange habe ich da unten gesteckt?«
»Gewiß zwölf Stunden lang.«
»Daß ich da nicht gestorben bin! Das war die entsetzliche Leidens-und Karfreitagsnacht. So ist es jetzt Sonnabend früh?«
»Nein, Freitag haben wir Sie hierher gebracht, und bis jetzt haben Sie geschlafen. Es ist Ostermorgen. Sehen Sie die Sonne dort! Wissen Sie, was sie verkündigen will?«
»Christ ist erstanden.«
»Und glauben Sie nun daran?«
»Ja, er ist wahrhaftig auferstanden, Sennor!«
Da kam sein Vater, welcher aufgewacht war und diese Worte gehört hatte, herbei und beugte sich mit Thränen der Freude über ihn. – –
[Fußnoten]
1 Deutschen.
2 Die Cordilleren sind das längs der südamerikanischen Westküste sich hinziehende Hochgebirg.
3 Paraguaythee.
4 Poncho ist ein aus einem viereckigen Stück Tuch bestehender Mantel.
5 Goldsucher.
6 Punas heißen die kalten Hochebenen auf den Cordilleren (besonders in Peru).
Die Todeskarawane
Ein orientalisches Sittenbild von Dr. Karl May
Der Orient! Welche Fülle von phantastischen Vorstellungen knüpft der Nichtkenner an dieses Wort, und wie wenig hält das Morgenland das, was es verspricht! Es ist eine ganze, lange Reihe großer Enttäuschungen, die es demjenigen bietet, der unter der Voraussetzung hinkommt, dort alles duftiger, glänzender und schöner als in der Heimat zu finden. Hat der Osten wirklich mehr Licht, so ist dafür sein Schatten um so tiefer, und unter seiner sogen. Farbenpracht verbirgt sich ein Schmutz, der sonst seinesgleichen sucht, ein Sumpf, dessen Miasmen weit über seine Grenzen hinaus noch nachzuweisen sind. Bilden doch gerade die heiligsten und besuchtesten Orte der islamitischen Welt die Brutstätten jener verheerenden Epidemien, die alljährlich zur Zeit der großen Pilgerzüge sich stets von neuem entwickeln. In dem sunnitischen Mekka erhebt der Würgengel der Cholera seine Flügel, dessen Schläge selbst in Europa zu verspüren sind, und von Kerbela und Meschhed Ali, den beiden Wallfahrtsorten der Schiiten, aus nimmt die orientalische Pest ihren verderblichen Lauf.
Bekanntlich haben sich die Mohammedaner in die beiden gegnerischen Heerlager der Sunniten und der Schiiten geteilt. Die letztern behaupten, daß Ali, der Schwiegersohn Mohammeds, der rechtmäßige direkte Nachfolger des Propheten sei, und erkennen die drei ersten Khalifen Abubekr, Omar und Osman nicht als solche an. Diese Spaltung (Schia) führte schon zu Alis Zeit zu vielen blutigen Treffen, bis er in Kufa ermordet wurde. Das ihm dort errichtete Denkmal gab später Veranlassung zur Gründung der Stadt Meschhed Ali. Sein ältester Sohn Hassan starb in Medina an Gift, sein jüngster und Lieblingssohn Hussein fiel in der Ebene von Kerbela in einer Schlacht, die er den Sunniten lieferte; dort steht die ihm errichtete Grabmoschee, die der heiligste Wallfahrtsort der Schiiten ist.
Während die Sunniten meist Semiten (Araber) sind, hat die Schia ihre Anhänger bei den Ariern (Persern und Indern) gefunden, und der Haß zwischen ihnen ist noch heute so groß, daß ein Schiit lieber mit einem Christen oder gar Juden als mit einem Sunniten verkehrt. Diese Feindschaft schwillt alljährlich am höchsten an im Wallfahrtsmonat Muharrem, dessen zehnter Tag der Todestag Husseins ist. Am
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