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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ertönte oben ein durchdringender Schrei.
    »Mein Sohn, mein Sohn!« rufend, kam der Vater den Felsenweg herabgeeilt, warf sich auf Perdido, riß ihn an sein Herz, küßte ihn, nahm ihn dann hoch auf die Arme und stieg mit ihm hinauf zur Höhle. Ich folgte nicht nach. Es war besser, Vater und Sohn waren jetzt allein. Aber ich schickte unsere drei Ponchos hinauf mit der Weisung, sie naß zu machen und den Kranken dann hineinzuwickeln. Nachher kam der Gambusino herab und berichtete mir mit Thränen in den Augen, mit welcher Liebe und Wonne der Vater um den verloren gewesenen und nun wiedergefundenen Sohn, der ihm doch so viel Gram bereitet hatte, beschäftigt sei.
    Perdidos Taschen waren von den drei Räubern ausgeleert worden. Da es zunächst nichts anderes zu thun gab, so wurde bestimmt, was ihm gehört hatte; sie mußten es hergeben.
    Die Nähe des Vaters war von guter Wirkung auf die Phantasien des Sohnes; er beruhigte sich nach und nach und fiel in einen tiefen, festen Schlaf. Am Nachmittag brach ein tüchtiger Schweiß aus, welcher alle Hoffnung auf eine vollständige Heilung gab.
    Auf die Gefangenen wurde natürlich keine Rücksicht genommen. Sie lagen in sehr fest angezogenen Fesseln da, die wir ihnen nicht lockerten, und bekamen weder zu essen noch zu trinken.
    Gegen Abend ließ mich der Vater hinauf zu sich bitten. Er drückte mir wohl hundertmal die Hände, sprach dabei aber sehr leise, um den schlafenden Sohn ja nicht zu wecken. Ich mußte ihm erzählen, wie ich Perdido kennen gelernt hatte. Ich that dies ganz der Wahrheit gemäß und beschönigte nichts.
    »O, Sennor, er war nicht so schlimm, wie es schien,« sagte er Alte. »Das Gute hat mit dem Bösen in ihm gekämpft, und bei jedem Kampfe kommt bekanntlich das Schlachtfeld am allerschlechtesten weg. Er hat sich nach Vergebung gesehnt und sie doch nicht finden können, weil ich verschwunden war. Das hat ihn verbittert.«
    »Woher wissen Sie das, Vater?«
    »Aus seinen Phantasien. Und die Nacht im Loche des Wasserfalles muß entsetzlich gewesen sein; seine Irrreden sagen mir auch das. Ich denke, daß diese Nacht zu seinem Heile gewesen ist, und bitte Gott, daß ich mich da nicht irre.«
    »Auch ich wünsche das herzlich. Was gedenken Sie denn mit den Comerciantes zu thun?«
    »Ich? Nichts. Aber Sie?«
    »Mich gehen Sie gar nichts an, denn sie haben mir nichts gethan. Meiner Ansicht nach haben Sie und Ihr Sohn über diese Leute zu entscheiden. Strafe haben sie verdient.«
    »Ja. Aber wer soll der Richter sein? Etwa mein Sohn, der selbst anstatt der Strafe Verzeihung finden wird? Oder ich? Sennor, ich glaube, ich bin auch nicht ohne Schuld. Wem eine Menschenblume anvertraut ist, der soll sie pflegen, und wenn sie nicht gerät, so ist nicht allein die Blume schuld. Nein, diese Comerciantes mögen ihre Sachen nehmen und sich davonmachen.«
    »Aber erst morgen, damit sie noch Angst auszustehen haben. Wie denken Sie denn nun von Ihrer Zukunft? Werden Sie hier bleiben? Mittel, in die Civilisation zurückzukehren, besitzen Sie wohl nicht?«
    »O, der Gambusino, dieser alte Goldsucher, hat viel, viel mehr edles Metall, als ich gestern eingestanden habe. Darüber läßt sich jetzt noch nichts bestimmen. Mag es aber kommen, wie es wolle, wir bleiben Ihre Schuldner, so lange ein Atem in uns ist!«
    Der Vater blieb den ganzen Abend bei dem Sohne. Ich saß mit dem Gambusino und den drei Tobas beisammen, bis die Müdigkeit sich meldete und wir zur Ruhe gingen. Früh war ich zeitig munter, als eben die junge Ostersonne den Osten mit purpurnen und goldigen Tinten färbte.
     

    Der Gambusino und die Tobas schliefen noch. Die Comerciantes lagen mit offenen Augen und verzerrten Zügen da; sie befanden sich jedenfalls nicht in guter Osterstimmung. Ich stieg leise hinauf zur Höhle. In der großen Abteilung schlief der Kranke, der nun wohl gesund war, denn er atmete ruhig, und sein Gesicht zeigte die frühere Farbe wieder. Sein Vater hatte während der ganzen Nacht bei ihm gewacht und sich erst vor ganz kurzer Zeit in die kleinere Abteilung gelegt. Die aufgehende Sonne schien zur offenen Höhle herein und warf zitternde Lichter auf die Wände derselben. Einige dieser Lichter verirrten sich auf das Gesicht des Schlafenden; sie gaben demselben ein eigentümliches warmes Leben. Es waren nicht mehr die Züge des Perdido vom Madeirastrome, sondern es sprach aus ihnen eine Seele, die er damals nicht besessen hatte.
    Da bewegte er sich. Ich wollte zurücktreten, aber schon öffnete

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