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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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der Apachen mein Lehrer gewesen. Meinst du, daß ich ihm die Schande mache, mich von einem jungen Apachen, der noch kein Feuergewehr tragen darf, hintergehen zu lassen? Dein Tier ist ein tschi-kayi-kle, ein Rotschimmel.«
    »Uff, uff!« rief er zweimal als Ausdruck der höchsten Verwunderung.
    »Willst du den Bruder Winnetous belügen?« fragte ich vorwurfsvoll.
    Da legte er die Hand auf das Herz und antwortete:
    »Schi-itkli takla ho-tli, tschi-kayi-kle – – ich habe ein Pferd, einen Rotschimmel.«
    »So ist es recht! Ich sage dir sogar, daß du heute früh bei Zeiten die ganze indianische Schule durchgeübt hast.«
    »Mein weißer Bruder ist allwissend wie Manitou, der große Geist!« rief er aus, förmlich betroffen.
    »Nein. Du bist im Karriere geritten, mit einem Fuße im Sattel hängend und mit einem Arme am Halsriemen, deinen Körper an die eine Seite des Pferdes legend. Das thut man im Kampfe, um sich vor den Geschossen des Feindes zu schützen, zur Friedenszeit aber nur, wenn man die volle Schule übt. Nur bei einem solchen Ritte ist es möglich, daß Mähnenhaare sich an Griff und Scheide des Messers verfitzen und, ausgerissen, hängen bleiben. Solches Mähnenhaar kann nur ein Rotschimmel haben.«
    Er fuhr mit beiden Händen nach dem Gürtel, an welchem das Messer in der Scheide steckte. Daran hingen einige Haare. Ich sah trotz seiner indianischen Hautfärbung, daß er errötete, und fügte hinzu:
    »Das Auge des ›kleinen Hirsches‹ ist hell, aber noch nicht geübt genug für solche Kleinigkeiten, an denen doch oftmals das Leben hängt. Mein junger Bruder ist hierher gekommen, um den Besitzer dieses Hauses zu sehen. Hat er eine Blutrache mit demselben?«
    »Ich habe das Gelübde des Schweigens abgelegt,« antwortete er; »aber mein weißer Bruder ist der Freund des berühmtesten Apachen. Ich will ihm etwas zeigen, was er mir heute noch zurückgeben wird. Er kann davon sprechen, denn meine Stunde ist gekommen.«
    Er öffnete das Jagdhemd und zog ein wie ein Briefcouvert viereckig zusammengelegtes Leder hervor. Er gab es mir und schritt davon, nach dem Maisfelde zu, bei welchem jetzt der blonde Joseph stand. Ich sah noch, daß er diesen beim Arme ergriff und mit sich fortzog.
    Ich schlug das Leder, welches aus einem gegerbten Hirschfelle geschnitten war, auseinander. Der Inhalt bestand aus einem zweiten Lederstücke aus Büffelkalbfell, nur von den Haaren befreit, mit Kalk gebeizt und zu Pergament geglättet. Es war zweimal zusammengeschlagen. Als ich es auseinander gefaltet hatte, sah ich eine Reihe von Figuren, in roter Farbe hervorgebracht, in der Zeichnung ganz ähnlich der berühmten Felseninschrift von Tsitßumovi in Arizona gehalten. Ich hatte ein Dokument in Indianerschrift in den Händen, eine solche Seltenheit, daß ich gar nicht sogleich an das Entziffern dachte, sondern in die Hütte eilte, um Will Salters diesen Schatz zu zeigen. Er schüttelte den Kopf dazu und meinte ganz verwundert:
    »Das soll man lesen können?«
    »Natürlich!«
    »Nun, so lies du es. Schon wenn es sich um unsere gewöhnliche Schrift handelt, will ich mich lieber mit zwanzig Indsmen als mit drei Buchstaben herumschlagen. Ich bin niemals ein Held im Lesen gewesen; ich schreibe meine Briefe dem Adressaten gleich hier mit der Doppelbüchse in den Leib; das ist das Kürzeste. Die Feder zerbricht mir zwischen den Fingern, und die Tinte schmeckt zu schlecht. Nun erst diese Figuren zu entziffern, das ist ja fürchterlich. Man kann sie hier in der dunkeln Hütte, die nur zwei kleine Gucklöcher an Stelle der Fenster hat, ja gar nicht einmal erkennen.«
    »So komm mit hinaus vor die Thür!«
    »Na, mitgehen will ich wohl; das Lesen aber magst du allein besorgen.«
    Wir gingen hinaus. Die Frau blieb zurück. Sie hatte auf dem Herde ein kleines Feuer angezündet, um einige Stückchen unseres Fleisches zu braten.
    Ich hatte die Augen natürlich sofort auf den Figuren; Will Salters aber hielt die seinigen nach dem Himmel gerichtet. Er brummte bedenklich:
    »Hm! Eigentümliche Wolke! Habe noch niemals so etwas gesehen. Was sagst du dazu?«
    Dadurch aufmerksam gemacht, blickte ich empor. Das Wölkchen war nicht viel größer geworden, hatte aber ein ganz anderes Aussehen bekommen. Vorher bläulichgrau, hatte es jetzt eine hellrote, durchsichtige Färbung, und es war, als ob von ihm aus Millionen und aber Millionen spinnenfadendünne, mattgoldene Fäden nach der ganzen Ausdehnung des Gesichtskreises hinuntergingen. Diese kaum

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