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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Stelle sah ich mehrere dunkle Striche, zu denen sie sich höchst wahrscheinlich zusammengezogen hatten und welche die Wolke, die tief dunkel geworden war, mit dem nördlichen Horizonte verbanden. Der übrige Teil des Himmels war hell und rein. An den Strichen wurde die Wolke wie an starken, straffen Seilen abwärts nach Norden gezogen. Das ging zusehends schnell. Je weiter sie zur Erde gezogen wurde, desto deutlicher sah man von der letzteren aus eine erst durchsichtige und dann sich immer mehr verdunkelnde Masse emporsteigen, unten breit, oben schwächer werdend, sich drehend und mit dem oberen, hin und her flatternden Schwanze nach der Wolke haschend. Diese sank immer schneller nieder, oben sich verbreiternd, nach unten nun ihrerseits einen Schwanz aussendend. Die beiden Schwänze suchten sich und fanden sich. Als sie sich berührten, war es, als ob die Wolke auf die Erde herabgerissen werden solle; aber sie hielt sich in der Luft und bildete mit dem Wirbelwind nun einen sich rasend schnell um seine eigene Achse drehenden Doppeltrichter, dessen Spitzen sich in der Mitte vereinigt hatten, während seine beiden Grundflächen unten an der Erde und hoch oben in der Luft wohl einen Durchmesser von fünfzig Meter erreichten.
    Da sich in der Umgebung nur niedriges Buschwerk befand, so konnten wir die beängstigende Naturerscheinung fast in ihrer ganzen Achsenhöhe beobachten. Sie wickelten und wirbelten sich sehr schnell vorwärts, grad auf uns zu. Und hier um uns gab es völlige Unbewegtheit der Luft und eine plötzlich eingetretene Schwüle, welche uns sofort den Schweiß aus allen Poren trieb.
    »Der ›kleine Hirsch‹ hat recht gehabt,« sagte ich. »Es handelt sich um unser Leben. Schnell, Will, retten wir uns und die Frau!«
    »Wie denn und wohin denn?« fragte er erschrocken.
    »Auf unsere Pferde.«
    »Wir wissen doch nicht, wohin wir uns wenden sollen!«
    »So eine Windhose ist freilich unberechenbar in ihren Bewegungen, aber wir müssen eben unsere Richtung ändern, sobald sie die ihrige ändert. Vielleicht wird sie vom Flusse aufgehalten und kommt gar nicht herüber auf unsere Seite. Hole Rollins’ Gaul hinter der Fenz hervor. Ich springe nach der Frau!«
    Ich fand diese am Herde, ohne Ahnung der ihr drohenden Gefahr. Sie fiel fast in Ohnmacht, als ich ihr mitteilte, was draußen vorgehe. Ich faßte sie und trug sie eilig hinaus. Will kam eben mit dem Gaule an.
    »Das Tier thut obstinat,« rief er. »Ich will mich daraufsetzen; er ist nicht gesattelt und die Lady würde beim ersten Schritte abgeworfen. Hebe sie auf meinen Fuchs! Schnell, schnell!«
    Er sprang auf und trieb das alte Pferd im Galoppe vorwärts.
    »Können Sie reiten?« fragte ich die Frau.
    »So nicht, wie es hier sein muß,« jammerte sie.
    »So nehme ich Sie zu mir.«
    Ich schwang mich auf den Fuchs, welcher zwei Personen eher tragen konnte als mein lahmer Brauner, zog die Zitternde zu mir herauf, so daß sie quer auf meinen Knieen lag, ergriff meinen Lahmen beim Zügel und folgte dem voransprengenden Salters.
    Das war alles so schnell geschehen, daß vom ersten Erblicken der Windhose bis jetzt nicht mehr als eine Minute vergangen war. Ich hatte es nicht bequem. Mit der Rechten mußte ich die Frau halten und mit der Linken den Fuchs leiten und auch den Braunen führen. Aber es ging. Als wir eine ziemlich bedeutende Strecke zurückgelegt hatten, rief ich Will zu, jetzt anzuhalten. Er that es, und wir drehten uns um.
    Die Trombe hatte jetzt fast den Fluß erreicht. Von Luft und der Wolke war nichts mehr zu sehen. Sie bildete ein finsteres Ungetüm, genau von der Gestalt einer Sand-oder Eieruhr, aber von riesenhafter Größe, in welcher ausgerissene Sträucher, Steine und mächtige Rasenstücke mit ganzen Wagenladungen von Sand rundum gewirbelt wurden – ein entsetzliches, überirdisch erscheinendes Ungetüm.
    Jetzt hatte sie das Ufer erreicht. Wird sie halten bleiben – sich am jenseitigen Ufer fortbewegen, auf-oder abwärts – vielleicht in sich zusammenfallen? So fragten wir uns. Der Mensch, der in ihren Bereich kam, war sicher verloren. Turmhoch auf und nieder und um sich selbst gewirbelt, mußte er ersticken, wenn er nicht vorher zur Erde geschmettert oder von den sich mit ihm drehenden Massen zerquetscht wurde.
    Sie hielt an, als ob sie sich besinnen wolle. Der obere, nach abwärts sich verjüngende Trichter neigte sich herüber, die bisherige Richtung fortzusetzen. Er zerrte an dem untern Trichter; fast schien es, als ob er sich von

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