Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
gegen das Schienbein gerutscht wäre. Ich meinerseits malte mir aus, wie uns der Wikinger beim Zahlen überfordern würde und wie ich das am besten vereiteln könnte.
»Amico«, würde ich ihm sagen, »bei mir sind Sie an den Falschen geraten. Einen Neuling können Sie vielleicht übers Ohr hauen, mich nicht...«
»Zweitausend Lire!« Die Gondel hatte vor dem Hotel angelegt. »Due mille!«
»Amico -«
Weiter kam ich nicht. Der Gondoliere begann zu schimpfen und zu fluchen, molto Gepäck, molto müde, molto bambini zu Haus und Santa Maria della Croce um die Ecke. Es war ein entsetzliches Schauspiel. Ich beeilte mich, ihn um den Preis von 2000 Lire so rasch wie möglich loszuwerden, und da er mich beim Kofferausladen nicht störte, gab ich ihm sogar noch 100 Lire drauf.
Und?
Der Mann hatte das Geld in seiner weiteren Hosentasche verschwinden lassen, lächelte und rührte sich nicht.
»Arrivederci«, rief ich ihm zu. »Machen Sie, daß Sie weiterkommen. Auf was warten Sie noch?«
»Ein Trinkgeld«, flötete er. »Ein ganz kleines Trinkgeld, Si- gnor... «
»Das ist die Höhe! Haben Sie mir nicht zweitausend Lire abgeknöpft? Habe ich Ihnen nicht freiwillig um hundert Lire
mehr gegeben?«
»Ja, gewiß«, entgegnete sanft der Wikinger. »Das war das offizielle Trinkgeld. Aber es ist üblich, auch noch ein privates Trinkgeld zu geben.«
Wortlos kehrte ich ihm den Rücken. Ich gab ihm nichts weiter als noch 50 Lire.
Der Hotelportier, der die ganze Szene aus einiger Entfernung stumm beobachtet hatte, fragte mich, warum wir nicht mit dem Motor-Taxi gekommen wären. Und ob wir denn nicht wüßten, daß nur Wahnsinnige noch Gondeln mieten. Und wieviel dieser Verbrecher aus mir herausgepreßt hätte.
»Aus mir preßt keiner etwas heraus«, sagte ich überlegen.
»Er hat fünfzehnhundert Lire verlangt und fünfzehnhundert Lire bekommen.«
Der Portier warf einen verzweifelten Blick zum Himmel, holte das offizielle »Fremdenverkehrs-Handbuch der Stadt Venedig« von seinem Pult und schlug die Seite mit dem Gondeltarifen auf:
»Liebespaar mit acht Koffern - 800 Lire«, las ich.«
Zu Mittag bekamen wir einen kleinen Teil unserer Kosten wieder herein. Im Restaurant fiel einer am Nebentisch sitzenden Dame das Messer zu Boden, und eingedenk meiner guten Erziehung bückte ich mich, um es ihr zu reichen, worauf sie mir 200 Lire in die Hand drücken wollte. Mit einem hurtigen »Grazie«, schnappte meine Frau nach dem Geldstück, stopfte es in ihre Handtasche und bemerkte nach einer Weile, die geizige alte Hexe hätte ruhig mehr geben dürfen...
Über die Höhe der Restaurantrechnung gehe ich vornehm hinweg. Schließlich waren da auch die beiden goldstrotzenden uniformierten Kellner berücksichtigt, die man ununterbrochen im Rücken stehen hat, der eilfertige, in blendendes Weiß gekleidete Mundschenk, und das Privileg, daß man vom Chef persönlich aus einer kostbaren alten Kristallkaraffe das Öl über den Salat geschüttet bekommt. Das alles ist sein Geld wert. Aber für Gondelfahrten würden wir keine einzige Lira mehr ausgeben.
Nur einmal fielen wir noch in die Klauen der Seeräuber. Wir hatten gerade dem jüdischen Ghetto einen Höflichkeitsbesuch abgestattet und wankten, müde vom Gehen und deprimiert von der Erinnerung an den Kaufmann von Venedig, dem Canal Grande zu, als mir ganz beiläufig der Gedanke kam, daß wir vielleicht doch, angesichts der besonderen Umstände, und wenn wir schon da sind, und wenn's schon so heiß ist, und warum nicht...
Rascher als man »Shylock« sagen kann, umringte uns eine Schar bewaffneter Wikinger, die meine Gedanken erraten haben mußten, versperrten sämtliche Ausfallswege und ließen mir keine Wahl, als mich einem von ihnen, dem nach außenhin freundlichsten, zu nähern (die anderen verschwanden unter gotteslästerlichen Flüchen).
»Quanto costa?« fragte ich.
»1900.«
Ich zog die offizielle Broschüre aus der Tasche und zeigte ihm die Stelle mit den 800 Lire. Die Folge war ein epileptischer Anfall des Gondoliere, den ich nicht mit ansehen konnte. Ich machte ihm ein letztes Angebot:
»1300.«
»1750.«
Also gut, 1600.«
»1750.«
»In Ordnung«, sagte ich. »Aber das heißt dann 1750 alles in allem, einschließlich Trinkgeld, Abnützungsgebühr, Verkehrssteuer, Reparatur und Babysitter. 1750 und Schluß. Verstanden?«
»Si, Signor, 1750 und keine Lira mehr.« Die Gondel glitt lautlos über das unsaubere Wasser. Wir saßen in angespanntem Schweigen. Wo steckte die
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