Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
Sie die Klimaanlage ab - und ich zahle Ihnen trotzdem die zehn Prozent Aufschlag. Einverstanden?«
Nun war es mit der Selbstbeherrschung des Managers zu Ende. Für derlei levantinische Sitten hatte er nichts übrig. Sein Gesicht lief rot an.
»Mein Herr«, sagte er eisig. »Für nicht geleistete Dienste können wir unseren Gästen nichts berechnen. Wenn Sie für etwas zahlen, dann bekommen Sie es auch. Das ischt alles.«
Und mit einer unwidersprechlichen Handbewegung scheuchte er mich von seinem Antlitz hinweg.
Ich kehrte in unsre Tiefkühlanlage zurück und beriet mit meiner Gattin, wie wir dem Tod durch Erfrieren vielleicht doch noch entgehen könnten. Schließlich kauerten wir uns eng umschlungen hinter einen Mauervorsprung, der uns einigen Schutz gegen die unablässig eindringenden Kaltluftströmungen verhieß.
Einige Minuten später klopfte es diskret an der Türe. Nein, die Schweizer sind keine Unmenschen. Ein Zimmermädchen brachte uns einen elektrischen Heizstrahler und zwei Decken.
Nach und nach gestalteten sich meine Beziehungen zum Manager etwas freundlicher. Er entpuppte sich - wie alle Schweizer, wenn man sie näher kennenlernt - als ein sehr netter Kerl, nur in Fragen der Haus- und sonstigen Ordnung verstand er keinen Spaß. Und wie sich zeigte, war das nicht einmal der einzige Spaß, den er nicht verstand. Eines Abends unterhielten wir uns über die Weltlage. Nachdem er mir die schweizerische Neutralität und ich ihm die bedrohte Lage Israels erklärt hatte, sah ich den Zeitpunkt gekommen, einen jüdischen Witz zu erzählen.
»Kennen Sie diesen?« begann ich. »Zwei Juden fahren in der Eisenbahn -«
»Entschuldigen Sie«, unterbrach mich der Manager und rückte seine Brille zurecht. »Was für Juden? Ich meine: woher kamen die beiden Herren?«
»Von irgendwoher. Es ist gleichgültig.«
»Von Palästina?«
»Spielt keine Rolle. Schön, von Palästina. Oder sagen wir besser Israel. Und -« »Ich verstehe. Sie wollen andeuten, daß die Geschichte bald nach der Gründung Ihres Staates spielt.«
»Richtig. Aber es hat eigentlich nichts mit der Geschichte zu tun. Zwei Juden fahren in der Eisenbahn -«
»Wohin?«
»Egal. Nach Haifa. Es ist wirklich ganz unwichtig. Der Zug fährt plötzlich in einen langen Tunnel ein, und da -«
»Einen Augenblick. Gibt es denn auf der Strecke nach Haifa einen Tunnel?«
»Dann fahren sie eben nach Jerusalem. Gut? Also der Zug -« »Entschuldigen Sie, mein Herr. Ich fürchte, daß es auch auf der Strecke nach Jerusalem keine Tunnels gibt.
Mein Bruder war mit einer Roten-Kreuz-Mission in Palästina, als es noch unter britischem Mandat stand, und er hat mir nie etwas von Tunnels erzählt.«
»Es spielt auch gar keine Rolle. Das sagte ich Ihnen doch schon. Es ist für meine Geschichte ganz gleichgültig, wo die beiden im Zug fahren. Nehmen wir an, sie fahren in der Schweiz. Und -«
»Ah, in der Schweiz! Und um welchen Tunnel, wenn ich fragen darf, handelt es sich? Um den Simplon? Um den St. Gotthard? Oder vielleicht-«
Jetzt war es an mir, zu unterbrechen: »Es ist vollkommen unwichtig, was für ein Tunnel es war!« rief ich. »Meinetwegen kann es auch der Schlesinger gewesen sein!«
»Der Schlesinger-Tunnel?!« Der Manager brach in dröhnendes Gelächter aus. »Hervorragend! Ein hervorragender Witz! Entschuldigen Sie - das muß ich sofort unsrem Chefportier erzählen. Der Schlesinger-Tunnel! Hahaha...«
Bald darauf schüttelte sich das ganze Hotel vor Lachen. Ich schlich auf die Toilette, ließ es mir angelegen sein, jedes Aufsehen zu vermeiden, und erhängte mich still an einer garantiert unzerreißbaren Schweizer Krawatte.
In Italien hat es den Anschein, als wären die Häuser nur gebaut worden, um den leeren Raum zwischen den Kathedralen auszufüllen. In der Schweiz haben die Banken eine ähnliche Funktion, nur füllen sie dort den leeren Raum zwischen den Uhrengeschäften aus. Möglicherweise verhält sich das auch umgekehrt. Für den Besucher ergibt sich jedenfalls der zwingende Eindruck, daß die Schweizer Bevölkerung fast ausschließlich aus Uhrmachern und Bankiers besteht. Erst nach einiger Zeit kommt man dahinter, daß es damit nicht getan ist. Es gibt Bankiers, die Uhrenhandlungen besitzen, und nicht wenige Besitzer von Uhrenhandlungen sind zugleich Besitzer von Bankaktien.
Fremden gegenüber legt die Schweiz, ihrer vornehmen Abkunft eingedenk, eine gewisse Zurückhaltung an den Tag. Um einem echt schweizerischen Klub beitreten zu können, muß
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