Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
Falle, die uns der Wikinger doch sicherlich gelegt hatte? Was stand uns noch bevor?
Lautlos glitt die Gondel dahin, vollkommen lautlos.
»Was soll das?« fragte nervös die beste Ehefrau von allen.
»Warum singt er nicht? Ich halte diese Stille nicht länger aus.« Damit wandte sie sich den Gondoliere: »O sole mio, s'il vous plait!«
»Prego, Signora.«
Und schon erklang sein schmelzender Tenor. Die süße, verführerische Melodie ließ uns beinahe sentimental werden. Beinahe schien es uns, als käme aus der wetterharten Brust des Piraten eine lang verschüttete Menschlichkeit zum Vorschein... als spülten die Fluten des Canal Grande siegreich Venedigs merkantile Entartung hinweg... als bestünde die Welt aus eitel Güte, Gesang und Lächeln...
Auf dem Gesicht meiner Gattin erstarrte dieses Lächeln plötzlich zu einer angstvollen Grimasse: »Um Himmels willen«, flüsterte sie. »Und ich habe ihn darum gebeten...!«
Aber es war zu spät. Schon hielten wir vor dem Hotel. »3000«, sagte der Gondoliere ruhig und unwidersprechlich. »1750 für die Fahrt, 1250 für die Serenade.«
Die beste Ehefrau von allen, zitternd am ganzen Körper und das kleine hübsche Gesicht gräßlich verzerrt, trat dicht an den Erpresser heran und verlangte zu wissen, was eigentlich an diesem schäbigen »O sole mio« 1250 Lire wert sei.
»Spezialista!« lautete die bereitwillige Antwort. »Tenore! Molto Stimme, molto Anstrengung, molto bambini, Santa Maria... «
Er bekam die 3000 Lire und nicht mehr als 150 Lire Trinkgeld. Nicht eine Lira mehr. Alles hat seine Grenzen.
Zufrieden bestieg er seine Gondel und ruderte ab. Noch lange hörten wir aus der Ferne sein »O sole mio...«
Von da an hielten wir uns unerbittlich an unsern Schwur, keine Gondel mehr zu benützen. Das war mit gewissen Mühen verbunden, denn die Kunde, daß ein verrücktes Ausländerpaar jeden geforderten Preis für eine Gondelfahrt bezahle, hatte sich unter den Gondolieri wie ein Lauffeuer verbreitet. Schon früh am Morgen klopfte es an unsre Tür:
»Bella Tour durch Venezia! Bellissima Gondola! Nur 2650 Lire! Inclusive >O sole mio Auch den Besuch von Restaurants gewöhnten wir uns ab.
Das Problem, wie wir uns ohne goldbetreßten Kellner ernähren sollten, löste sich leicht und glücklich, als wir einen dieser wundertätigen Automaten entdeckten, die in immer größerer Zahl Europas Fortschrittsfluren übersäen. Er trug einen Wegweiser zu seinen verschiedenen Schlitzen und Knöpfen und Schubfächern: »Hier 100 Lire... Hier drücken... Hier Käsesandwich alla Milanese... Hier ziehen... Hier mit der Faust draufschlagen... «
Als wir das alles vorschriftsmäßig besorgt hatten, kam jedoch keinerlei Sandwich heraus, sondern in einem plötzlich erleuchteten Glasquadrat erschien die Inschrift: »Bitte noch 50 Lire. Willkommen im sonnigen Italien.« Ich versuchte es mit 20 Lire, drückte, zog, hieb mit der Faust drein, zog nochmals und hielt tatsächlich ein in Cellophan eingepacktes Käsesandwich in der Hand, das übrigens ganz vorzüglich schmeckte. Dankbar warf ich 10 Lire in einen der noch nicht von mir benützten Schlitze. Ein Schubfach sprang auf und reichte mir einen Zettel: »Grazie!«
Der Tag unserer Abreise in die Schweiz war gekommen. Zur Sicherheit hatte ich ein Motorboot bestellt, das uns eine Stunde vor Abgang des Zuges zum Bahnhof bringen sollte. Jeder Preis war mir recht, wenn ich nur diesen Gondelpiraten kein Geld mehr in den Rachen werfen mußte.
Das Motorboot kam nicht. Ich weiß nicht, warum, aber es kam nicht. Das kann passieren. Sogar in Italien.
Als nur noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrtszeit des Zuges fehlte, begannen wir wie die Irren auf der kleinen Anlegestelle unsres Hotels hin- und herzurennen: »Gondola!« riefen wir. »Gondola!« brüllten wir. Nichts. Keine Gondel. Keine einzige. Die Gondeln waren ausgestorben. Es gab keine Gondeln mehr. Im allerletzten Augenblick wurden wir durch ein merkwürdiges plantschendes Geräusch auf einen alten Mann aufmerksam, der dicht unterhalb der Anlegestelle ein Schläfchen tat.
In einer Gondel.
Wir stürzten hinunter und weckten ihn: »Presto! Tempo! Zum Hauptbahnhof! Rasch, rasch!«
Im zerfurchten Gesicht des Piraten hoben sich langsam die schweren Lider, und in seinen Augen erschien mit deutlichen Blinksignalen die Ziffer 5000. Es war uns sogar, als hörten wir das Klingeln einer eingebauten Registrierkassa...
Wir versäumten den Zug.
Atemlos stürzten wir auf den Admiral zu, der
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