Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Titel: Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
Vom Netzwerk:
unpassierbar gemacht.
    »Monsieur«, sagte er und maß mich mit einem mörderischen Blick. »Das ist nicht mein Tisch.«
    Ich verstand. Endlich verstand ich. Das also war der Grund, warum dieser Tisch so wunderbarerweise leerstand. Es war ein Niemandstisch im Grenzgebiet zwischen zwei Großmächten, ein verlassener Vorposten am Rand der Wüste, wo nachts die Schakale heulen und höchstens dann und wann ein Atomphysiker auftaucht. Instinktiv sah ich unter den Tisch, ob dort nicht vielleicht ein paar Skelette lägen. Die Eule Lipschitz fiel mir wieder ein. Ich war ein Tourist. Ich war ein Ausgestoßener. Was sollte aus mir werden. Mit elementarer Gewalt ergriff mich das dem Psychologen so wohlbekannte, urmenschliche Bedürfnis, zu irgend jemand zu gehören.
    »Dein bin ich, dein mit Leib und Seele«, wisperte ich ins Ohr des Aristokraten, der zufällig in meiner Nähe eine kleine Schnaufpause machte. »Ich gehöre dir, ich schare mich um dein Banner, ich -«
    »Lassen Sie mich in Ruhe oder ich hole die Polizei«, zischte der Aristokrat und brach in westlicher Richtung aus.
    Ich begann zu weinen. Nichts ist schlimmer als Einsamkeit. >Ephraim<, sagte ich zu mir selbst, >du mußt etwas tun. Du mußt bei einem Kellner deine de-facto Anerkennung durchsetzen, sonst hast du zu existieren aufgehört!< Mit letzter Kraft sprang ich auf und winkte dem Schnurrbart, der mit einer Lieferung angenehm duftenden Geflügels unterwegs war:
    »Gargon! L'addition!«
    Der Schnurrbart warf mir einen Blick zu, aus dem klar hervorging, daß er auf diesen schäbigen Trick nicht hereinzufallen gedächte, und setzte seinen Weg fort.
    >Wenn ich jetzt<, dachte der Faschist in mir, während ich dem Schnurrbart haßerfüllt nachsah, >wenn ich jetzt eine Plastikbombe in der Tasche hätte, dann wäre es um ihn geschehen!<
    In diesem Augenblick trat eine unvorhergesehene Wendung der Dinge ein, und zwar in Gestalt eines vierschrötigen, glatzköpfigen Mannes, der sich vor der Küchentür aufpflanzte und einen selbstbewußten Feldherrnblick über das Terrain schweifen ließ.
    Der Chef! Ich stürzte auf ihn zu und schilderte ihm mit bitteren Worten, wie seine Kellner mich behandelten.
    »Schon möglich«, meinte er gleichmütig. »Es sind eingeschriebene Mitglieder der kommunistischen Partei, einer wie der andre.«
    »Und was soll ich jetzt machen?«
    Der Chef zuckte die Achseln:
    »Ich habe mit einem dritten Kellner Fühlung aufgenommen. Angeblich kommt er Ende der Woche...«
    »Aber was mache ich bis dahin?«
    »Hm. Haben Sie unter den Gästen nicht vielleicht einen Bekannten, der für Sie bestellen könnte?«
    Einen Bekannten? Ich? Hier, mitten im Urwald? Ich schüttelte den Kopf.
    Der Chef tat ein gleiches und zog sich in die Küche zurück, während ich - mit jener weiblichen Unentschlossenheit, die ein typisches Merkmal der untergehenden Bourgeoisie ist - meinen hoffnungslosen Platz im Niemandsland wieder einnahm.
    Der Hunger trieb mich zur Verzweiflung. Ich mußte über die Grenze gelangen, koste es, was es wolle. Unauffällig, mit kleinen, sorgfältig berechneten Rucken, begann ich den Tisch im Sitzen aus dem Niemandsland hinauszuschieben. Zoll um Zoll, langsam aber unaufhaltsam, kämpfte ich mich zum Territorium des Schnurrbarts durch, von jeder Deckung Gebrauch machend, die sich unterwegs bot. >Bald<, so ermunterte ich mich, >bald bin ich unter Menschen... die Rettung ist nahe...<
    Nichts da. Die Grenzpolizei schnappte mich. Und an dem Schicksal, das einem ausländischen Infiltranten bevorstand, war nicht zu zweifeln:
    »Schieben Sie den Tisch sofort zurück!« herrschte der Schnurrbart mich an.
    Was jetzt über mich kam, läßt sich rationell nicht erklären. Es wurzelt tief in archaischen Trieben. Mit einem heiseren Aufschrei warf ich mich über den Kellner, riß vom obersten Teller eine halbe Ente an mich und schob sie in den Mund. Sie schmeckte betörend. Schon streckte ich die Hand nach den Petersilienkartoffeln aus - aber da hatte der Kellner sich aus seiner Starre gelöst und begann zurückzuweichen:
    »Monsieur...«, stammelte er. »Monsieur, was tun Sie da...?«
    »Ich esse«, antwortete ich bereitwillig. »Das wundert Sie, was?«
    Aller Augen waren auf mich gerichtet. Das ganze Restaurant verfolgte atemlos den tatsächlich ein wenig ungewöhnlichen Vorgang. Leider kam der Aristokrat dem Schnurrbart zu Hilfe, und auch der Chef schämte sich nicht, mit den Kommunisten gemeinsame Sache zu machen. Ihren vereinten Anstrengungen gelang es,

Weitere Kostenlose Bücher