Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Titel: Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
Vom Netzwerk:
den Rest der Ente aus meinen Händen zu winden. Dann, unter den Hochrufen der Zuschauer, hoben sie mich auf und trugen mich zur Türe. Unterwegs entschloß ich mich, kein Trinkgeld zu geben.
    »Hunger!« brüllte ich. »Hunger! Ich will essen!«
    »Warten Sie, bis Sie bedient werden«, sagte der Schnurrbart. »Sie sind hier nicht im Ritz«, fügte der Aristokrat hinzu.
    Von diesen beiden war nichts zu erwarten. Ich wandte mich an den Chef:
    »Hören Sie«, beschwor ich ihn. »Engagieren Sie mich als Kellner!«
    Es war zu spät. In weitem Bogen flog ich durch die Türe, kam nach einer glatten Bauchlandung auf die Füße und wandte mich um.
    Der Chef stand da und sah mich mit einem beinahe teilnahmsvollen Gesichtsausdruck an:
    »Monsieur - gehen Sie in irgendein Restaurant auf den Champs-Elysees. Das ist das richtige für Touristen...«
    Ich folgte seinem Rat und ging, wohin ich gehörte. Ich verkroch mich hinter den schützenden Mauern eines Restaurants auf den Champs-Elysees und ertränkte mein Leid in einer hervorragenden Bouillabaisse. Drei klassische Kellner tanzten für mich ein klassisches Bedienungsballett. Auch lehrten sie mich, die langstieligen, mit Widerhaken versehenen Geräte zu gebrauchen, die dem Kundigen dazu dienen, auch noch das kleinste Stück Fleisch aus dem entlegensten Hinterbeinchen der Languste hervorzustochern. Willig folgten Finger und Zähne ihren Anweisungen; aber mit dem Herzen war ich nicht bei der Sache... Zum Dessert kredenzte man mir Crepe de mocca parfait flambee a l'eau de Cologne, von dem ich genug übrigließ, um mich damit zu besprengen, als ich die Rechnung sah.
    Meine Verzweiflung wuchs. Wer bin ich und was soll ich noch auf Erden, fragte ich mich mit einer an Hamlet grenzenden Melancholie. Die Franzosen wollen mich nicht haben, oder nur als Touristen. Aber einen Touristen, der so wenig Geld hat wie ich, wollen sie erst recht nicht haben.
    ... An dieser Stelle entartete mein Selbstgespräch zum Dialog, und eine andre innere Stimme flüsterte mir zu: »Geh zu deinen Brüdern im Geiste! Geh zu deinesgleichen! Du bist ein Schriftsteller, ein Künstler! Dein Platz ist bei den Bohemiens!«
    Ich nahm den nächsten Bus zum Montmartre, stieg aus und ließ mich selig mit dem farbenfrohen Strom des Künstlervölkchens treiben. Anders ausgedrückt: Ich setzte mich in ein Cafe, bestellte einen Wermut und beobachtete das Durcheinander ringsrum. Und was für ein Durcheinander! Am Nebentisch schluchzte gerade eine kleine Wasserstoffblondine an der Schulter eines jungen backenbärtigen Mannes mit Brille. Etwas weiter entfernt gab eine betagte Sexbombe einer interessiert lauschenden Zuhörerschaft Erinnerungen an ihre zerstörte Jugend preis. Daneben hielt ein unrasierter, wild um sich blickender Rollkragenträger einen leeren Transistor an sein Ohr.
    Hier diskutierten sechs langhaarige Jünglinge über eine von ihnen gezüchtete Kreuzung zwischen Neo-Dadaismus und Kafka, dort bereiteten sich zwei reglose, stark geschminkte Frauengestalten in stummer Umarmung auf die nächsten Schicksalsschläge vor. Ein halbnacktes, atemberaubend schönes Blumenmädchen setzte sich neben einen afrikanischen Matrosen, zog ein Buch hervor und begann zu lesen. In einer Ecke versuchte ein trübsinniger Student durch Verschlucken eines Löffels Selbstmord zu begehen, aber der Kellner, der für die Vollzähligkeit des Bestecks verantwortlich war, fiel ihm in den Arm. Zwei Schauspielerinnen fanden die Hitze so unerträglich, daß sie sich zu entkleiden begannen, worauf der Kellner sofort einen Polizisten herbeirief, damit auch er das Vergnügen des Zuschauens genösse. Ein an Elefantiasis leidender Bildhauer entlockte einer Miniaturflöte elektronische Musik, eine berühmte Dichterin führte ihr Bulldogg-Weibchen von Tisch zu Tisch und sammelte Almosen für den angeblich gestern eingetroffenen Wurf, ein weißhaariger Ziehharmonikaspieler begleitete die Umarmung eines Liebespaares mit sentimentalen Melodien, Zigaretten und Zündhölzer flogen durch die Luft, Sprachfetzen und Gelächter bahnten sich den Weg durch die Schwaden aus Rauch und Alkohol. Und inmitten dieser Orgie der Zusammengehörigkeit und Lebensfreude aß nur ein einziger Mensch einsam an seinem Tisch, und das war ich.
    Noch nie im Leben hatte ich mich so einsam gefühlt, so vergessen, verlassen und verloren. Hätte ich nicht die Gewohnheit gehabt, bei heißem Wetter (wie es an diesem Tag herrschte) mein Sporthemd über die Hose heraushängen zu lassen -

Weitere Kostenlose Bücher