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Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Titel: Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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Fremdenverkehr eingestellten Restaurants. Die Franzosen hingegen machen aus dem Essen auch für sich selbst eine heilige Handlung. Davon kann man sich in jedem beliebigen Restaurant überzeugen.
    Und das brachte mich an jenem Sonntag an den Rand des Hungertodes.
    Tief im Bois de Boulogne, an der Kreuzung zweier schwer zugänglicher Seitenwege, liegt ein kleines, unauffälliges Restaurant, das nur von Einheimischen frequentiert wird. An jenem Sonntag barst es schier von Gästen, und am Eingang wartete eine Schlange eßlustiger Franzosen auf das Freiwerden von Plätzen. Zwischen den dichtbesetzten Tischen eilten zwei schwitzende, unter der Last ihrer Arbeit tief gebückte Kellner hin und her und bestätigten aufs neue die alte Regel, daß es in einem französischen Restaurant entweder zu viel oder zu wenig Kellner gibt, aber nie die richtige Anzahl. So unverkennbar echt war die Atmosphäre, mit so authentischem Zauber nahm sie mich gefangen, daß ich in sträflichem Leichtsinn alle Warnungen der Eule Lipschitz vergaß und mich an einen Tisch setzte, der wunderbarerweise vollkommen leer inmitten des Lokals stand. Lässig ließ ich mich auf den freien Stuhl nieder (es war nur ein einziger vorhanden), räkelte meine drahtigen Glieder und stellte nicht ohne Befriedigung fest, daß ich mich in verhältnismäßig kurzer Zeit bereits völlig an den Lebensstil der Franzosen angeglichen hatte. Dann griff ich nach der Karte, überflog sie geübten Blicks und entschied mich für ein Entrecôte.
    »Garcon!« rief ich in bestem Französisch. »Un entrecôte!«
    Der Kellner, einen Ausdruck aristokratischer Unnahbarkeit im Gesicht und sieben hochgetürmten Tellern in den Händen, wischte an mir vorbei, ohne mich auch nur anzusehen. Ich wartete, bis er aus der Gegenrichtung wieder den Tisch passierte:
    »Gareon! Un entrecôte!«
    Diesmal würdigte mich der Aristokrat wenigstens eines flüchtigen Blicks, aber das war auch alles. Ich strich ihn aus der Liste meiner Bekannten. Ohnehin sah sein Kollege, der einen buschigen Schnurrbart trug, aussichtsreicher aus:
    »Gargon! Un entrecôte!«
    Der Angeredete - er trug außer dem Schnurrbart eine noch größere Anzahl von Tellern als sein Vorgänger - verschwand wortlos in der Menge. Jetzt wurde ich doch ein wenig unruhig und fragte mich, ob ich nicht vielleicht in die Stoßzeit geraten wäre. Rings um mich löste der größere Teil der Pariser Bevölkerung mit hörbarem Vergnügen das sonntägliche Ernährungsproblem. Und mir als einzigem sollte diese Lösung versagt bleiben? Als ich den Aristokraten wieder herannahen sah, sprang ich auf und verstellte ihm den Weg:
    »Garcon! Un entrecôte!«
    Er rannte mich nieder. Er ging über mich hinweg, als ob er mich nicht gesehen hätte. Ich war unsichtbar geworden. »Lipschitz!« zuckte es durch mein Hirn, während ich mich mühsam vom Boden erhob. Hatte mir Lipschitz nicht gesagt, daß man als Tourist kein Mensch sei? Offenbar war das ganz wörtlich zu verstehen. Vielleicht war ich schon tot und wußte es nicht...
    Ein hungriges Knurren aus meiner Magengegend brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Als der Schnurrbart wieder an meinem Tisch vorbeikam, erwischte ich ihn an den Frackschößen:
    »Garcon! Un entrecôte!«
    »Sofort«, antwortete er und suchte sich verzweifelt aus meinem Doppelnelson herauszuwinden. Aber ich ließ nicht locker. Ich stellte ihm die Frage, die mich schon seit einiger Zeit beschäftigte:
    »Warum geben Sie mir nichts zu essen?«
    »Das ist nicht mein Tisch!« Er begleitete diese Auskunft mit einigen heftigen Tritten gegen mein Schienbein.
    Ich ließ ihn los. Wenn das nicht sein Tisch war, dann hatte ich kein Recht, ihn zurückzuhalten.
    Mit erneuter Inbrunst wandte ich mich dem Aristokraten zu, suchte durch lautes Klatschen seine Aufmerksamkeit zu erregen und durch körperliches Dazwischentreten seinen Weg zu blockieren. Er ging abermals durch mich hindurch. Jetzt begann mein Erfindungsgeist zu arbeiten. Ich konstruierte eine - wenn auch primitive - Falle. Als er das nächste Mal, bepackt mit einer enormen Ladung Desserts, den an meinem Tisch vorüberführenden Engpaß durchbrechen wollte, sprang ich auf, schob meinen Stuhl hinter ihn und schnitt ihm mit einem blitzschnellen Umgehungsmanöver von vorne den Weg ab. Wie ein Obelisk ragte ich vor ihm auf. Jetzt gab es kein Entrinnen für ihn:
    »Garcon! Un entrecôte!«
    Er versuchte einen strategischen Rückzug, fand aber die Ausfallstraße durch meine Barrikade

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