Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
überdimensionaler Faltkarten zurück, die er auf der Kühlerhaube vor uns ausbreitete.
»Dem Wagen fehlt Pflege«, bemerkte er nebenbei und begann mit einer Nylonbürste die Sitze zu säubern. »Bei mir bekommen Sie die schönsten Nylonbürsten. In allen Farben.«
»Vielen Dank. Mein Onkel ist in der Bürstenbranche.«
»Wir haben einen Onkel im Land? Den müssen wir mit einem netten kleinen Geschenk überraschen! Eine Blumenvase? Einen Lampenschirm? Eine Ziehharmonika? Rasierseife? Papagei?«
»So viel ist mir mein Onkel nicht wert. Ich mag ihn eigentlich nicht.«
»Ganz recht!« Um seine Zustimmung zu unterstreichen, begann er mir mit einem Miniatur-Staubsauger über den Anzug zu fahren. »Man soll nie von seinen Verwandten abhängen. Hoffentlich wohnen Sie nicht bei ihm. Mein Wohnungsvermittlungsbüro -«
»Ich bin fast immer unterwegs.«
»Welche Zeitung wollen Sie abonnieren?«
»Keine.«
»Nehmen Sie Tanzunterricht!«
»Ich kann tanzen.«
»Ölaktien?«
»Davon verstehe ich nichts.«
»Also gut. Einsfünfzig.«
»Was?«
»Die Ameisenfarm.«
»Ich sagte Ihnen doch schon, daß ich derzeit keine Verwendung für Ameisen habe.«
»Ja, aber - was wollen Sie kaufen?« Er seufzte, zog einen Kamm hervor und frisierte mich kunstgerecht. Mir fiel ein, daß ich doch nur zum Tanken hierhergekommen war und daß ich dieses unwiderstehliche Verkaufsgenie nun endlich loswerden müßte.
»Eigentlich«, sagte ich unentschlossen vor mich hin, »trage ich mich mit dem Gedanken, einen Konzertflügel zu kaufen...«
Ein Leuchten ging über des Tankwarts Gesicht. Er verschwand und war in Sekundenschnelle mit einem Bündel von Prospekten zur Stelle:
»Für 1200 Dollar liefere ich Ihnen einen erstklassigen Flügel. Deutsches Fabrikat. Ich schaffe ihn direkt in Ihre Wohnung.«
»Und was, wenn Sie ihn auf der Stiege fallen lassen?«
»Kann mir nicht passieren. Mir nicht. Aber um Sie zu beruhigen: Gegen eine Aufzahlung von nur zwölf Dollar bekommen Sie von mir eine komplette Sachschaden-Versicherung. Ich bin der solideste Versicherungsagent im Umkreis. Spielen Sie selbst Klavier? Oder die Gattin?«
»Weder - noch. Wir haben nur immer davon geträumt, daß unser Sohn -«
»Wunderbar! Ich verschaffe Ihnen einen staatlich geprüften Klavierlehrer! Acht Stunden im Monat für 18,50!«
»Wer weiß - vielleicht will aber der Kleine gar nicht lernen?«
»75 Dollar in drei Raten - und Sie haben den besten Kinderpsychologen von ganz Amerika! Der wird den Balg schon hinkriegen!«
»Hm. Bleibt immer noch ein Haken: Wir sind kinderlos.«
»Kopf hoch! Eine einmalige, garantiert erfolgreiche Beratung durch einen anerkannten Fachmann kostet Sie nicht mehr als -«
»Halt!« fuhr ich dazwischen, denn mir war plötzlich der erlösende Gedanke gekommen. »Übernehmen Sie auch das Verfassung von Reisebüchern?«
»Selbstverständlich. 1500 Dollar für 220 Manuskriptseiten, zweizeilig, 65 Anschläge pro Zeile.«
»Aber es muß lustig sein!«
»Kein Problem. Macht 15 Dollar Zuschlag für jeden Druckbogen... «
Und so geschah es, daß dieses Buch - wie der geneigte Leser wohl schon längst geargwöhnt hat - von einem Tankstellenwärter im Staate New Haven geschrieben wurde. Amerika gilt ganz allgemein als restlos durchtechnisiertes, vollautomatisch betriebenes Land, dessen Bewohner ein nach bestimmten Schablonen vorgestanztes Leben führen, das von genau festgelegten, ebenso konventionellen wie konformistischen Regeln bestimmt wird. In Wahrheit sind die Amerikaner im Höchsten Grad individualistisch und absonderlich, viel absonderlicher als jedes andere Volk, weil sie von ihren Absonderlichkeiten nichts wissen und sie für völlig normal halten. Der Amerikaner findet alles, was er tut und was ihm geschieht, in Ordnung. Er wundert sich nicht im geringsten, wenn ihm ein Tankstellenwärter ameisenhaltige Konzertflügel zum Kauf anbietet. Er glaubt fest daran, daß Gott das Fernsehen erfunden hat, auf daß die natürliche Dreiteilung des Tages gewahrt werde: acht Stunden Schlaf, sechs Stunden Arbeit und zwölf Stunden vor dem Bildschirm. Er ist davon durchdrungen, daß ein erstklassiger Baseballspieler mit Recht so viel Geld verdient wie der Präsident der Vereinigten Staaten oder sogar wie Elvis Presley; daß man die Zukunft planen und Geld sparen muß für den Tag, an dem die Atombomben zu fallen beginnen; daß eine amerikanische Ehe ohne zwei amerikanische Kinder - einen amerikanischen Knaben und ein amerikanisches Mädchen im
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