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Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Titel: Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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Wohlstand, die Wirtschaftskonjunktur, die überladenen Büffets, die 17 Fernsehkanäle oder die 32 verschiedenen Fruchteis-Sorten, die von Mr. Howard Jones feilgeboten werden. Was wir meinen und was uns vor Neid erblassen läßt, ist ein höchst ungewöhnliches Privileg, das die amerikanischen Geschäftsleute genießen. Er steht ihnen nämlich das Recht zu, ihre Angestellten zu entlassen. Man denke: zu entlassen, zu kündigen, hinauszufeuern. Den Buchhalter, den Portier, den Abteilungsleiter, wen immer. Sie können ihn, bildlich gesprochen, die Stiegen hinunterwerfen. Sie sagen ganz einfach. »Hinaus!« - und draußen ist er.
    Es ist kaum zu glauben. Es ist wie im Märchen. Der Boß ist in Amerika noch der Boß.
    Wir Israelis sind in diesem Punkt besonders empfindlich. Bei uns gibt es kein Kündigungsproblem, denn wir sind ein sozialistisch regierter Staat. Unsere Regierungspartei ist eine Arbeiter-Partei. Unsere Fabriken werden von Arbeiter-Komitees geleitet, und wenn es zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Boß kommt, wird ein Schiedsgericht eingesetzt. Das Schiedsgericht besteht aus drei Vertretern des Arbeiter-Komitees, zwei Gewerkschaftsvertretern und dem Boß als Beisitzer ohne Stimme. Die letzte in Israel erfolgte Kündigung wurde im Jahre 1952 registriert, als ein Zitruspacker namens Sprotzek den Besitzer der Plantage im Verlauf eines Wortwechsels halb totgeschlagen hatte. Das Schiedsgericht sprach sich zwar gegen die Entlassung Sprotzeks aus, wich dann aber vor einem persönlichen Machtwort des Ministerpräsidenten zurück.
    Seither ist nichts mehr dergleichen geschehen.
    Was Wunder, daß wir die Amerikaner beneiden, die ihr elementares Recht auf Kündigung in der Unabhängigkeitserklärung von 1776 verankert haben!
    Mein Onkel Harry zum Beispiel erschien eines Tages in seiner Bürstenfabrik und wollte den Vorarbeiter sehen, sah ihn aber nicht, weil er nicht da war. Wo denn der Vorarbeiter wäre, fragte Onkel Harry einen der Bürstenmacher. Der Bürstenmacher konnte es ihm nicht sagen.
    Er fragte einen ändern, der es ihm auch nicht sagen konnte.
    Schließlich fand er einen Arbeiter, der es ihm sagte.
    »Boß«, sagte der Arbeiter, »der Vorarbeiter ist ein Bier trinken gegangen.«
    »Okay«, sagte Onkel Harry. »Sie sind entlassen.«
    Der Vorarbeiter war nämlich eine hochqualifizierte Kraft und schwer zu ersetzen. Irgend jemand aber mußte entlassen werden - das ist ein althergebrachter und sehr vernünftiger Brauch. Wir wissen aus zahlreichen historischen Filmen, daß der König regelmäßig den Boten köpfen läßt, der ihm die Nachricht von der Niederlage seiner Heere bringt. Diese psychologisch durchaus verständliche Reaktion degenerierte im Laufe der Zeit zum sogenannten Entlassungsbetrieb, der immer noch sein Gutes hat. Den vom Entlassungsbetrieb Bedrohten bleibt gar nichts andres übrig, als tüchtig zu sein. Sonst werden sie entlassen.
    Daß diese Tüchtigkeit mitunter erschreckende Dimensionen annimmt, versteht sich von selbst.
    Was sich nicht von selbst verstand, war die erste Frage jenes Tankstellenwärters, bei dem wir auf der Fahrt nach New Haven Benzin nahmen und der zweifellos die Schwergewichtsmeisterschaft in Verkaufstechnik gewonnen hatte. Seine erste Frage lautete:
    »Brauchen Sie Ameisen?«
    Es war, wie man zugeben wird, eine verwirrende Frage. So sehr wir diese kleinen emsigen Tierchen respektieren - wenn sie nicht gerade in unsere Küche eindringen, haben wir weiter keine Beziehungen zu ihnen. Was sollten wir jetzt und hier, auf einer Autostraße 64 Meilen nördlich von New York, mit Ameisen anfangen?
    Infolgedessen beugte ich mich zu dem ruhig wartenden Benzinverschleißer vor und sagte:
    »Entschuldigen Sie - ich verstehe nicht?«
    »Ich hab' noch ein paar Schachteln übrig«, präzisierte er und spülte zum Zeichen seines guten Willens unsre Windschutzscheibe ab. »Ist jetzt groß in Mode. Jeder will eine Ameisenfarm haben. Riesenspaß für die ganze Familie. Besonders die Kinder sind verrückt danach. Schauen stundenlang durch den Glasdeckel, wie die Ameisen Straßen bauen. Oder Brücken. Oder Untergrundbahnen. Alles zusammen zwei Dollar. Ameisen gratis. In der Stadt zahlen Sie mindestens drei.«
    »Danke«, antwortete ich, noch immer ein wenig verwirrt.
    »Im Augenblick brauche ich keine Ameisen. Ich bin nicht von hier, wissen Sie. Ich bin Ausländer. Nur zu Besuch.«
    »Ausländer? Sofort!« Er schnalzte mit den Fingern, verschwand im Stationsladen und kam mit einem Dutzend

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