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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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reicht sie Sandra. »Deshalb steht es uns nicht
zu, über unsere Handlungen zu urteilen … Wir können nur um Vergebung bitten.«
    Auch Sandra nimmt eine Kerze und entzündet sie an der von Marcus.
Dann entzünden sie alle Kerzen zu Füßen von Christus dem
Weltenrichter . Während die kollektive Flamme nach und nach wieder zum
Leben erweckt wird, fühlt Sandra sich wie befreit, so wie es der Pönitenziar
vorhergesagt hat. Das Wachs tropft wieder auf den matten Marmorboden. Sandra
ist gelöst und zufrieden – bereit, nach Hause zurückzukehren. Der
Phosphorschein wird allmählich schwächer. Die leuchtenden Fresken und
schimmernden Friese verschwinden. Langsam wird die Kapelle wieder armselig und
anonym. Während Sandra weitere Kerzen anzündet, schaut sie zufällig nach unten
und entdeckt einige rote Tropfen.
    Sie bilden einen kleinen Kranz aus braunen Flecken. Es ist kein
Wachs, sondern Blut.
    Sie schaut zu Marcus auf und sieht, dass er Nasenbluten hat.
    »Vorsicht!«, sagt sie, weil er es nicht bemerkt hat.
    Er führt eine Hand zum Gesicht und wirft einen Blick auf seine
blutbeschmierten Finger. »Das passiert mir manchmal, hört aber schnell wieder
auf. Es hört immer wieder auf.«
    Sandra wühlt in ihrer Tasche und zieht ein Päckchen Taschentücher
hervor. Er nimmt sie dankbar entgegen.
    »Es gibt Dinge, die ich nicht von mir weiß«, sagte er, während er
den Kopf in den Nacken legt. »Anfangs fand ich es beängstigend, Neues über mich
zu erfahren. Auch das Nasenbluten war beängstigend. Keine Ahnung, woher es
kommt, aber es gehört zu mir. Und vielleicht wird es mir eines Tages sogar
helfen, mich an mein altes Ich zu erinnern.«
    Sandra beugt sich zu Marcus vor und umarmt ihn. »Viel Glück!«, sagt
sie.
    »Leb wohl«, erwidert er.

EIN JAHR ZUVOR
PRAG
    Er war noch einige Monate in Prypjat geblieben, um sicherzugehen,
dass sonst niemand nach ihm suchte. Die Arbeit, die er mit seinem letzten Opfer
gehabt hatte, war mühsam und anstrengend gewesen – ganz anders als bei den
anderen, die ihm nach ein paar Stunden Folter alles verraten hatten. Er hatte
mehrere Tage gebraucht, um es zum Reden zu bringen. Es dazu zu bewegen, alles
über sich zu verraten. Damit er lernen konnte, sich in es zu verwandeln.
Seltsamerweise war es am schwierigsten gewesen, ihm seinen Namen zu entlocken.
    Der Verwandlungskünstler betrachtete sich im Spiegel. »Marcus«,
sagte er. Der Name gefiel ihm.
    Er war seit drei Tagen in der Stadt und hatte sich ein Hotelzimmer
genommen. Das Gebäude war alt, und wenn er aus dem Fenster sah, konnte er die
schwarzen Dächer Prags bewundern.
    Er hatte viel Geld dabei – Geld, das er den Männern abgenommen
hatte, die ihm im Lauf der Zeit ihr Leben überlassen hatten. Und den
vatikanischen Diplomatenpass von seinem letzten Opfer. Das Foto hatte er
ausgetauscht. Die Personalien im Pass waren gefälscht, denn sie passten nicht
zu den Angaben, die er ihm gewaltsam entlockt hatte. Dafür gab es eine ganz
einfache Erklärung.
    Der Jäger existierte gar nicht.
    Besser hätte es der Verwandlungskünstler gar nicht treffen können.
Indem er zu einem Mann wurde, den keiner kannte, war er endgültig vor
Entdeckung geschützt. Aber noch konnte er sich dessen nicht sicher sein, und
deshalb war er hier.
    Er ging seine Notizen noch mal durch, die er sich in Prypjat gemacht
hatte: seine neue Biografie. Er hatte sich nur das Nötigste aufgeschrieben, den
Rest hatte er auswendig gelernt.
    In diesem Moment öffnete sich die Zimmertür.
    Ein alter Mann mit einem zerfurchten Gesicht erschien auf der
Schwelle. Er sah erschöpft aus und war ganz in Schwarz gekleidet. Er hielt eine
Pistole umklammert. Aber er schoss nicht sofort. Er trat ein und machte die Tür
zu. Er wirkte gelassen und entschlossen.
    »Ich habe dich gefunden!«, sagte er. »Ich habe einen Fehler gemacht
und bin gekommen, um ihn wiedergutzumachen.«
    Der Verwandlungskünstler schwieg. Er legte seine Notizen seelenruhig
auf den Tisch und ließ sich nichts anmerken. Angst hatte er keine – er wusste
gar nicht, was das war, denn das hatte man ihm nicht beigebracht. Er war nur
neugierig. Warum hatte der Alte Tränen in den Augen?
    »Ich habe meinen fähigsten Schüler gebeten, dich zu jagen. Aber wenn
du hier bist, ist Marcus tot. Und das ist allein meine Schuld.«
    Er sah, dass er mit der Waffe auf ihn zielte. Noch nie war der
Verwandlungskünstler dem Tod so nah gewesen. Er hatte immer gekämpft, auch
darum, seine eigene Natur zu überleben. Und er

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