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Der Seewolf

Der Seewolf

Titel: Der Seewolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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Lippen waren blau vor Kälte und ihre Wangen wirkten ganz hohl. Dennoch blickte sie mich tapfer aus ihren braunen Augen an. Ich rieb ihre Hände und bewegte ihre Arme auf und ab, bis sie selbst dazu in der Lage war. Dann ließ ich sie im Boot hin und her gehen und auf der Stelle hüpfen.
    »Sie sind eine unglaublich tapfere Frau«, sagte ich und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
    Dann kam der Wind, frisch und günstig, und unser Boot mühte sich durch eine schwere See unserer Insel entgegen. Am Nachmittag umrundeten wir den Felsvorsprung im Südwesten. Wir waren schwach vor Hunger und unsere Lippen aufgesprungen vom Durst. Langsam legte sich der Wind, und als es dunkel wurde, ruderte ich wieder - aber nur schwach, ganz schwach. Um zwei Uhr morgens knirschte der Bug auf unseren Strand und ich wankte hinaus um festzumachen.
    Maud konnte nicht stehen und ich hatte keine Kraft, sie zu tragen. Wir sanken nebeneinander in den Sand. Als ich mich etwas erholt hatte, legte ich meine Hände unter ihre Schultern und zog sie hinauf zu unserer Hütte.
    Am nächsten Tag arbeiteten wir nicht. Wir schliefen bis in den Nachmittag und nahmen dann eine ausgiebige Mahlzeit zu uns. Ich wunderte mich, wie rasch Maud sich wieder erholt hatte.
    »Sie wissen doch, dass ich aus gesundheitlichen Gründen nach Japan unterwegs war«, sagte sie. »Ich bin nie sehr kräftig gewesen. Deshalb schlug der Arzt eine Seereise vor. Ich habe mir die längste ausgesucht.«
    »Sie wussten nicht, worauf Sie sich da einließen.« Ich lachte.
    »Nach diesem Abenteuer werde ich ein anderer Mensch sein«, meinte sie. »Zumindest werde ich eine Menge mehr vom Leben begriffen haben.«
    Wir sprachen auch über Wolf Larsen. Seine Absicht, an diesem Ort zu sterben, deutete darauf hin, dass er nicht nur an Blindheit litt. Da gab es seine schrecklichen Kopfschmerzanfälle. Wahrscheinlich hatte sein Gehirn Schaden genommen und er musste unvorstellbare Qualen erdulden.
    Trotz allem zeigte Maud viel Mitgefühl für diesen Mann. Doch wir waren uns einig, dass wir ihn hart anfassen mussten, wenn wir unser Ziel erreichen wollten.
    Am nächsten Tag waren wir im Morgengrauen auf den Beinen. Als Erstes brachte ich die Ghost ein Stück vom Ufer fort und verankerte sie. Später arbeitete ich an der Winde.
    Drei Tage war ich mit ihr beschäftigt, während ein Mechaniker vermutlich drei Stunden gebraucht hätte. Das Ergebnis war alles andere als erfreulich, aber wenigstens funktionierte sie.
    Im Laufe eines halben Tages schaffte ich die beiden Toppmasten an Bord und stellte die Schere wieder her. Und in der folgenden Nacht schlief ich auf der Ghost direkt neben meinem Werk. Maud schlief in der Back.
    Während dieser Tage hatte Wolf Larsen sich häufig zu uns gesellt. Doch niemand erwähnte das Unheil, das er angerichtet hatte. Wenn etwas geredet wurde, so ging es um unwichtige Dinge. Meistens jedoch saß er nur da, starrte hilflos vor sich hin und lauschte, lauschte, lauschte ...
    Trotzdem fürchtete ich ihn noch immer und passte auf, dass ich nicht in seine Reichweite kam, während ich arbeitete.
    Dann wurde ich durch Schritte geweckt, während ich bei meiner geliebten Schere schlief. In der sternenklaren Nacht erkannte ich die Umrisse Wolf Larsens. Rasch kroch ich unter meiner Decke hervor und folgte ihm leise auf Strümpfen. Er hatte sich eine Klinge aus dem Werkzeugkasten besorgt und wollte damit die Fallen durchtrennen, die ich an der Schere befestigt hatte.
    »An Ihrer Stelle würde ich das lassen«, sagte ich ruhig.
    Er hörte das Klicken meiner Pistole und lachte.
    »Hallo, Hump, ich wusste, dass Sie hier sind. Meine Ohren können Sie nicht täuschen.«
    »Das ist eine Lüge, Wolf Larsen«, entgegnete ich so ruhig wie zuvor. »Aber wie dem auch sei, ich sehne mich danach, Sie zu töten. Also los, schneiden Sie!«
    »Ich ziehe es vor, Sie zu enttäuschen.« Lachend drehte er sich um und ging nach achtern.
    »Wir müssen ihn einsperren, Humphrey«, meinte Maud, als sie davon erfuhr. »Sonst versenkt er womöglich das Schiff oder zündet es an.«
    »Aber wie?« Ich zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich wage mich nicht in die Reichweite seiner Arme und er weiß, dass ich nicht auf ihn schieße, solange er mich nicht angreift.«
    »Es muss eine Möglichkeit geben.« Sie runzelte die Stirn.
    »Ja, es gibt eine«, sagte ich grimmig nach einer Weile. Ich ergriff einen Robbenknüppel. »Ich will ihn nicht töten, aber bevor er wieder zu sich kommt, habe ich ihn fest und

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