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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Seifenfetischisten und liebten es, uns gegenseitig einzuschäumen, bis wir schlüpfrig wie Seehunde waren. Schnelles Frühstück, aus dem Haus um acht, Pendler-Hubschrauber nach Manhattan. Meine erste Station war mein Uptown-Büro, mein altes Lew-Nichols-und-Teilhaber-Büro, das ich mit einem reduzierten Stab in Gang hielt, solange ich von der Stadt mein Gehalt empfing. Dort bearbeitete ich Routine-Projektionen und Analysen kleinerer Verwaltungsprobleme: der Standort einer neuen Schule, die Schließung eines baufälligen Krankenhauses, Zonenänderungen, die ein neues Abspritz-Zentrum für hirngeschädigte Süchtige in einer Wohngegend erlauben sollten: Trivialitäten dies alles, aber potentiell explosive Trivialitäten in einer Stadt, in der die Nerven aller Bürger hoffnungslos überspannt sind und kleine Enttäuschungen schnell wie unerträgliche Abfuhren aussehen. Dann, gegen Mittag, fuhr ich ins Zentrum zum Rathaus, zu Konferenz und Mittagessen mit Bob Lombroso.
    »Mr. Lombroso hat einen Besucher bei sich«, erklärte mir die Empfangsdame, »aber Sie sollen trotzdem hineingehen.«
    Lombrosos Büro war die richtige Bühne für ihn. Er ist ein großer, gutgebauter Mann Ende der Dreißiger, von etwas theatralischer Erscheinung, eine beherrschende Gestalt mit dunklem, gelocktem Haar, das sich an den Schläfen versilbert, einem groben, kurzgescherten schwarzen Bart, einem blitzenden Lächeln und der energischen, intensiven Art eines erfolgreichen Teppichhändlers. Sein Büro, vormals im Stil Früher Bürokrat eingerichtet, hatte er auf eigene Kosten renoviert; nun war es ein reich verzierter Levantiner Salon, wohlriechend und warm, mit dunkel schimmernden, ledergetäfelten Wänden, tiefen Teppichen, schweren braunen Samtvorhängen, tausendfach durchlöcherten, gedämpft leuchtenden spanischen Bronzelampen, einem glänzenden Schreibtisch aus verschiedenen dunklen Hölzern mit Maroquin-Intarsien, großen, weißen, urnenartigen chinesischen Bodenvasen, und, in einer barocken Glasvitrine, seiner geliebten Sammlung mittelalterlicher Judaica – silberner Kopfschmuck, Brustharnische, Zeigestöcke für die Schriftrollen des Gesetzes, bestickte Thora-Hüllen aus den Synagogen Tunesiens oder Persiens, mit Filigranarbeit versehene Sabbath-Lampen, Kerzenhalter, Gewürzdosen, Kandelaber. In diesem moschusduftigen, abgeschiedenen Allerheiligsten gebot Lombroso über die städtischen Finanzen wie ein Prinz von Zion: Wehe dem törichten Christen, der seinen Rat verschmähte!
    Sein Besucher war ein verblichen wirkender kleiner Mann von fünfundfünfzig oder sechzig Jahren, eine schmächtige, nichtssagende Person mit schmalem, ovalem Kopf, der nur spärlich mit kurzem, grauem Haar bedeckt war. Er war so schlicht gekleidet, nämlich in einen schäbigen alten, braunen Anzug aus der Eisenhower-Ära, daß Lombrosos geschleckte Eleganz dagegen pfauenhaft extravagant aussah und selbst ich in meinem fünf Jahre alten kastanienbraunen, kupferfadendurchwirkten Cape mich wie ein Dandy fühlte. Er saß still, gekrümmt, mit verschränkten Händen. Anonym, fast unsichtbar wirkte er, einer von Mutter Naturs geborenen Smiths, und seine Haut hatte einen bleigrauen Unterton, das Fleisch seiner Wangen eine winterliche Schlaffheit, die nur allzu deutlich von einer sowohl physischen wie spirituellen Erschöpfung sprachen. Die Zeit hatte diesen Mann aller Kraft beraubt, die er einmal besessen haben mochte.
    »Lew, ich möchte dir Martin Carvajal vorstellen«, sagte Lombroso.
    Carvajal erhob sich und ergriff meine Hand. Seine war kalt. »Ich schätze mich überaus glücklich, Ihnen endlich zu begegnen, Mr. Nichols«, sagte er in einer sanften, tonlosen Stimme, die aus fernen Winkeln des Universums an mein Ohr drang.
    Die vornehme Formulierung seines Grußes war sonderbar. Ich fragte mich, was er hier suchte. Er sah so vollkommen saftlos aus, so ganz nach einem Bewerber um eine sehr untergeordnete bürokratische Planstelle oder, das war plausibler, nach einem ärmlichen Onkel Lombrosos, der sich hier seinen monatlichen Wechsel abholte: Aber nur die Mächtigen hatten doch Zutritt zu Finanzchef Lombrosos prunkvoller Höhle.
    Doch Carvajal war nicht das Treibgut, für das ich ihn hielt. Schon in dem Augenblick, als wir Hände schüttelten, schien es mir, als habe er Zugang zu ungeahnten Kräften; er stand aufrechter als erwartet, die Linien seines Gesichts strafften sich, eine gewisse mediterrane Röte hellte seine Hautfarbe auf. Nur seine öden und leblosen

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