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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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küßte mich über einen Abstand von zwölf Metern hinweg, ein zärtlicher Lufthauch, der mich anwehte: Hallo, Schatz, hallo, dich lieb’ ich immer noch am meisten. Ich ging zu ihr, und sie preßte sich an mich, und ich knabberte an ihrem Ohrläppchen und sagte: »Spaß gehabt?« Sie nickte verträumt. Auch Friedman mußte über Fähigkeiten verfügen, nicht nur finanzielle. »Ist er dir mit Transit gekommen?« wollte ich wissen. Sundara schüttelte den Kopf. Friedman habe sich noch nicht auf Transit eingelassen, murmelte sie, obwohl Catalina ihn bearbeitet habe.
    »Mich bearbeitet sie auch«, sagte ich.
    Friedman war auf dem Sofa zusammengesackt, mit glasigen Augen starrte er in den Sonnenaufgang über Brooklyn. Sundara, Meisterin klassischer Hindu-Erotologie, war ein schwerer Trip für jeden Mann.
    - wenn eine Frau ihren Liebhaber so eng umschlungen hält, wie sich eine Schlange um einen Baum windet, und seinen Kopf zu ihren wartenden Lippen zieht, wenn sie ihn dann küßt, indem sie einen leisen, zischenden Laut, »soutt soutt«, von sich gibt, und ihn lange und zärtlich anblickt – ihre Pupillen vor Verlangen geweitet –, so ist diese Stellung als die Umarmung der Schlange bekannt…
    »Will jemand frühstücken?« fragte ich.
    Catalina lächelte ein schiefes, offenbar verneinendes Lächeln. Sundara neigte lediglich den Kopf. Friedman sah lustlos aus. »Später«, sagte er, und seine Stimme erhob sich kaum über ein Flüstern. Die ausgebrannte Hülse eines Mannes.
    - wenn eine Frau einen Fuß auf den Fuß ihres Liebhabers setzt und mit dem anderen Bein seinen Schenkel umfaßt; wenn sie einen Arm um seinen Hals und den anderen um seine Lenden legt und leise ihre Lust summt, als wolle sie am festen Stamm seines Körpers hinaufklettern und sich einen Kuß pflücken – so ist diese Stellung als die Baumbesteigung bekannt…
    Ich ließ jeden in seinem Teil des Wohnzimmers und ging mich duschen. Ich hatte nicht geschlafen, aber mein Geist war wach und rege. Eine sonderbare, eine geschäftige Nacht: Ich fühlte mich lebendiger als seit Wochen, ich verspürte ein stochastisches Kribbeln, einen Schauer von Hellsichtigkeit, der mich warnte, daß ich mich der Schwelle irgendeiner neuerlichen Veränderung entgegenbewegte. Ich drehte die Dusche voll auf, drückte den Knopf für maximale Vibration, Wellen von Ultraschall strömten in mein sich weit öffnendes, zuckendes Nervensystem: Und als ich das Bad verließ, hatte ich Lust, neue Welten zu erobern.
    Nur Friedman war im Wohnzimmer, immer noch nackt, immer noch glasäugig, immer noch rücklings auf dem Sofa.
    »Wo sind sie hin?« fragte ich.
    Träge deutete er auf das Schlafzimmer. So hatte Catalina also ihr Ziel doch noch erreicht.
    Erwartete man von mir, daß ich Friedman nun ähnliche Gastfreundschaft erwies? Mein Bisexualitätsquotient ist sehr niedrig, und Friedman erweckte in mir keinen schwulen Funken. Doch nein, Sundara hatte seine Libido demontiert; nur Zeichen der Erschöpfung kamen von ihm. »Sie sind ein glücklicher Mann«, murmelte er nach einer Weile. »Was für eine fantastische Frau… was… für eine… fantastische…« Ich dachte, er sei eingenickt. »… Frau. Kann man sie kaufen?«
    »Kaufen?«
    Fast klang es ernst.
    »Über Ihre orientalische Sklavin rede ich.«
    »Meine Frau?«
    »Sie haben sie auf dem Markt in Bagdad gekauft. Fünfhundert Dinare für sie, Nichols.«
    »Nichts zu machen.«
    »Tausend.«
    »Nicht für zwei Königreiche«, sagte ich.
    Er lachte. »Wo haben Sie sie gefunden?«
    »Kalifornien.«
    »Gibt’s da draußen mehr von der Art?«
    »Sie ist einzigartig«, sagte ich. »Und das bin ich auch, und Sie, und Catalina. Menschen kommen nicht von der Stange, Friedman. Haben Sie inzwischen Lust auf ein Frühstück bekommen?«
    Er gähnte. »Wenn wir auf einer höheren Ebene wiedergeboren werden sollten, müssen wir uns von den Gelüsten des Fleisches reinigen. Das ist Transit. Ich werde mein Fleisch kasteien, indem ich auf mein Frühstück verzichte.« Seine Augen schlossen sich, und weg war er.
    Ich frühstückte alleine und sah zu, wie sich der Morgen aus dem Atlantik drängte. Ich holte die Times aus dem Türschlitz und freute mich, daß Quinns Rede es auf die erste Seite geschafft hatte, zwar unterhalb des Knicks, aber mit einem zweispaltigen Foto.
    BÜRGERMEISTER QUINN SIEHT GRÖSSERES POTENTIAL DER MENSCHHEIT.
    Das war die Schlagzeile, die etwas unterhalb des üblichen Prägnanzniveaus der Times lag. Der Artikel zentrierte sich

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