Der Seher
ersten Nacht auf Sarkisians Party hatte ich zugesehen, wie er stetig stärker wurde, fester, als ob sein Aufstieg zur Prominenz ihm seine eigene Selbsteinschätzung bekräftigt und jede Spur von Selbstbezweiflung, die noch in ihm gewesen sein mochte, hinweggebrannt hätte. Nun, da er im Scheinwerferlicht erstrahlte, schien er ein Gefäß kosmischer Energien; durch ihn hindurch und aus ihm hervor spielte eine unwiderstehliche Macht, die mich zutiefst erschütterte. Ein neuer Roosevelt? Ein neuer Kennedy? Ich zitterte. Ein neuer Karl der Große, ein neuer Mohammed, vielleicht ein neuer Dschingis-Khan.
Er schloß mit einer Floskel, und wir waren auf den Beinen und schrieen, Mardikians Choreographie war nicht mehr nötig; die Leute von den Medien rannten, ihre Kassetten abzuholen, die kaltäugigen Burschen aus den Clubhäusern schlugen sich in die Hände und redeten vom Weißen Haus, Frauen weinten, Quinn nahm, schwitzend, die Arme ausgebreitet, unsere Huldigung mit stiller Befriedigung entgegen, und ich spürte, wie das Dröhnen des Götzen zum ersten Mal durch diese Vereinigten Staaten ging.
Es dauerte eine weitere Stunde, bis Sundara, Friedman, Catalina und ich aus dem Hotel waren. Zum Hubschraubertaxi und schnell nach Hause. Merkwürdiges, befangenes Schweigen; alle vier sind wir darauf erpicht, zur Sache zu kommen, aber die gesellschaftlichen Konventionen dominieren vorerst, und wir täuschen Gelassenheit vor; außerdem hat Quinn uns überwältigt. Wir sind noch so voll von ihm, seinen klingenden Sätzen, seiner kraftvollen Gegenwart, daß wir alle vier zu Nullen geworden sind, stumpf, betäubt, ohne Selbst. Niemand ist zum Eröffnungszug fähig. Wir reden. Brandy, Bone; eine Führung durch das Apartment. Sundara und ich geben mit unseren Gemälden, Plastiken, unseren Kunstwerken der Primitiven, unserem Blick auf die Silhouette von Brooklyn an; allmählich fühlen wir uns etwas wohler miteinander, aber immer noch will keine sexuelle Spannung aufkommen; jene Stimmung erotischer Erwartung, die drei Stunden lang so aufregend gewachsen war, hatte sich unter der Wucht von Quinns Rede völlig verflüchtigt. War Hitler eine orgasmische Erfahrung? Cäsar? Wir räkeln uns auf dem dicken weißen Teppich. Mehr Brandy. Mehr Bone. Quinn, Quinn, Quinn: Statt Sex reden wir über Politik. Friedman streichelt schließlich, höchst unspontan, Sundaras Knöchel, dann wandert seine Hand ihre Wade hinauf. Es ist ein Signal. Wir werden die Erotik herbeizwingen. »Er muß nächstes Jahr kandidieren«, sagt Catalina Yarber und bewegt sich ostentativ so, daß sich der Schlitz in ihrem Rock weit öffnet und einen straffen Schenkel, goldene Locken enthüllt. »Leydecker hat die Nominierung praktisch in der Tasche«, meint Friedman und wird mutiger, liebkost Sundaras Brüste. Ich schalte den Lichtverwandlungsrheostat ein, im Raum breitet sich ein psychedelisches Schimmern aus. Um und um, in leisen, magischen Kreisen, tanzen die Hexenfeuer. Yarber bietet uns eine frische Röhre Bone an. »Aus Sikkim«, erklärt sie. »Der beste Stoff auf dem Markt.« Zu Friedman sagt sie: »Ich weiß, Leydecker führt; aber Quinn kann ihn zur Seite schieben, wenn er will. Wir können nicht noch vier Jahre auf ihn warten.« Ich hole einen tiefen Zug aus der Röhre, und der Stoff aus Sikkim setzt eine Schnelle-Brüter-Reaktion in meinem Hirn in Gang. »Nächstes Jahr ist noch zu früh«, sage ich. »Quinn war unglaublich heute Abend, aber ein Jahr reicht nicht aus, ihn dem ganzen Land einzubläuen. Mortonson wird sowieso todsicher wiedergewählt. Soll sich Leydecker nächstes Jahr ruhig aufreiben, Null-Vier führen wir dann Quinn ins Feld.« Ich hätte womöglich noch die ganze Strategie mit der Scheinbewerbung um die Vizepräsidentschaft ausgespuckt, aber Sundara und Friedman waren in die Schatten verschwunden, und Catalina interessierte sich nicht mehr für Politik.
Unsere Kleider fielen von uns. Ihr Körper war schlank und fest, athletisch, jungenhaft, glatt und muskulös, die Brüste voller, als ich erwartet hatte, die Hüften schmaler. Die Silberkette mit dem Abzeichen des Transit-Glaubens behielt sie an ihrem Schenkel. Ihre Augen glühten, aber ihre Haut war kühl und trocken und ihre Brustwarzen waren nicht steif geworden; was auch immer für Gefühle sie bewegen mochten, ein starkes körperliches Verlangen nach Lew Nichols war gegenwärtig nicht darunter. Was ich empfand, war Neugier und eine gewisse, von fern sich ankündigende Bereitschaft, zu
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