Der Seher
unabänderlichen Zukunft immer noch absurd. Alles, was noch nicht geschehen war, mußte für verändernde Eingriffe offen sein; ich konnte und würde es ändern, um Quinns willen.
Aber ich rief ihn nicht an. Carvajal hatte mich gebeten – mir befohlen und gedroht, mich gewarnt –, in diese Sache nicht einzugreifen. Wenn Quinn bei der Einweihung nicht erschiene, würde Carvajal den Grund wissen, und das könnte das Ende meiner empfindlichen, aufreibenden Beziehung zu dem sonderbar starken kleinen Mann sein. Aber könnte Quinn seinen Auftritt bei der Zeremonie ausfallen lassen, selbst wenn ich intervenierte? Laut Carvajal war das unmöglich. Andererseits spielte Carvajal vielleicht ein Spiel innerhalb des Spiels, und was er wirklich vorhersah, war eine Zukunft, in der Quinn der Kuwait-Feierlichkeit nicht beiwohnte. In dem Falle mochte das Drehbuch vorsehen, daß ich als Agens der Änderung auftrat, als derjenige, der Quinn daran hinderte, den Termin einzuhalten; in diesem Fall würde Carvajal darauf zählen, daß meine Widerspenstigkeit helfen würde, die Dinge auf die richtige Bahn zu bringen. Das klang nicht sehr plausibel, aber ich mußte die Möglichkeit in Rechnung ziehen. Ich war in einem Labyrinth von Sackgassen verloren. Mein stochastischer Sinn war mir keine Stütze mehr. Ich wußte nicht mehr, was ich von der Zukunft oder sogar der Gegenwart halten sollte, und die Vergangenheit selbst fing an, ungewiß auszusehen. Ich glaube, bei jenem Mittagessen mit Carvajal begann der Prozeß, in dem mir Schritt für Schritt abgestreift wurde, was ich einmal für gesunde Vernunft gehalten hatte.
Einige Tage lang überlegte ich hin und her. Dann ging ich in Bob Lombrosos vielgerühmtes Büro und lud die ganze Sache auf ihn ab.
»Ich habe ein taktisches Problem«, sagte ich.
»Warum kommst du zu mir statt zu Haig Mardikian? Er ist der Stratege.«
»Weil mein Problem mit vertraulichen Informationen zu tun hat, die vor Quinn zurückgehalten werden sollen. Ich weiß etwas, das Quinn wahrscheinlich gerne erfahren würde, und ich kann es ihm nicht sagen. Mardikian ist so ein hundertfünfzigprozentiger Quinn-Mann, daß es ihm gleichsähe, mir die Geschichte unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu entlocken und dann damit schnurstracks zu Quinn zu laufen.«
»Ich bin auch ein hundertfünfzigprozentiger Quinn-Mann«, sagte Lombroso. »Und du erst.«
»Ja«, sagte ich. »Aber das geht bei dir nicht soweit, daß du das Vertrauen, das dir ein Freund schenkt, um Quinns willen verraten würdest.«
»Während du glaubst, Haig würde das.«
»Sehr wohl möglich.«
»Haig würde sich sehr ärgern, wenn er wüßte, daß du so von ihm denkst.«
»Ich weiß, du wirst ihm nichts davon sagen«, sagte ich. »Ich weiß es.«
Lombroso antwortete nicht, stand nur einfach vor dem großartigen Hintergrund seiner Sammlung mittelalterlicher Schätze, bohrte seinen Finger tief in seinen dichten schwarzen Bart und musterte mich mit durchdringenden Augen. Ein langes, quälendes Schweigen entstand. Und doch fühlte ich, daß ich recht getan hatte, zu ihm statt zu Mardikian zu kommen. Im ganzen Team Quinns war Lombroso der Vernünftigste, der Zuverlässigste, ein wunderbar gescheiter, ausgeglichener Mann, in sich ruhend und unbestechlich, von vollkommen unabhängigem Geist. Wenn mein Urteil von ihm falsch war, war ich erledigt.
Endlich sagte ich: »Abgemacht? Du wirst nichts von dem weitersagen, was ich dir heute erzählen werde?«
»Das hängt davon ab.«
»Wovon?«
»Ob ich deiner Meinung bin, daß es besser ist, die Sache geheimzuhalten.«
»Ich soll reden, und dann wirst du entscheiden?«
»Ja.«
»Das kann ich nicht machen, Bob.«
»Das heißt, du vertraust mir auch nicht, stimmt’s?«
Ich überlegte einen Augenblick lang. Intuition sagte mir: nur zu, sag ihm alles; Vorsicht warnte, daß zumindest die Möglichkeit bestand, daß er meine Bitte mißachten und die Geschichte an Quinn weiterleiten würde.
»Also gut«, sagte ich. »Ich werde dir die Geschichte erzählen. Ich hoffe, alles, was ich sage, wird zwischen uns bleiben.«
»Schieß los«, sagte Lombroso.
Ich holte tief Luft. »Vor ein paar Tagen habe ich mich mit Carvajal zum Mittagessen getroffen. Er sagte mir, daß Quinn ein paar Hiebe auf Israel loslassen wird, wenn er nächsten Monat seine Rede zur Einweihung der Bank von Kuwait hält, und daß er damit eine Menge jüdischer Wähler hier vor den Kopf stoßen wird; das wird eine gewisse Unzufriedenheit der örtlichen
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