Der Seher
Juden mit Quinn verschärfen, von der ich nichts wußte, die aber laut Carvajal schon ernst ist und wahrscheinlich noch viel schlimmer wird.«
Lombroso starrte mich an. »Bist du von Sinnen, Lew?«
»Vielleicht. Warum?«
»Du glaubst wirklich, daß Carvajal die Zukunft sehen kann?«
»Er macht an der Börse Geschäfte, als ob er die Zeitung des nächsten Monats lesen könnte, Bob. Er hat uns den Hinweis auf Leydeckers bevorstehenden Tod und Socorros Amtsübernahme gegeben. Er hat die Sache mit Gilmartin angekündigt. Erdölgelierung auch, ja. Also ist er ein guter Rater. Wir haben doch diese Unterhaltung mindestens schon einmal geführt, Lew.«
»Er rät nicht. Ich rate. Er sieht.«
Lombroso betrachtete mich. Er bemühte sich, geduldig und tolerant auszusehen, aber er schien beunruhigt. Vor allem anderen ist er ein Mann der Vernunft; meine Worte mußten ihm nach Wahnsinn klingen. »Du meinst, er kann den Inhalt einer improvisierten Rede vorhersagen, die erst in drei Wochen fällig ist?«
»Ja.«
»Wie soll so etwas möglich sein?«
Ich dachte an Carvajals Zeichnung auf dem Tischtuch, an die beiden Zeitströme, die in entgegengesetzten Richtungen verlaufen. Das konnte ich Lombroso nicht verkaufen. Ich sagte: »Ich weiß nicht. Ich habe keine Ahnung. Ich glaube einfach daran. Er hat mir genug Beweise gegeben, so daß ich überzeugt bin, er kann’s, Bob.«
Lombroso schien nicht überzeugt zu sein.
»Das ist das erste Mal, daß ich höre, Quinn wäre bei den jüdischen Wählern schlecht angeschrieben«, sagte er. »Wo ist der Beweis dafür? Was zeigen deine Umfragen?«
»Nichts. Noch nicht.«
»Noch nicht? Wann soll es rauskommen?«
»In einigen Monaten, Bob. Carvajal sagt, die Times wird im Herbst einen Artikel darüber bringen, wie Quinn die Unterstützung der Juden verliert.«
»Glaubst du nicht, Lew, daß ich es ziemlich schnell spitzkriegen würde, wenn Quinn mit den Juden Schwierigkeiten hätte? Aber nach allem, was ich höre, ist er bei ihnen der beliebteste Bürgermeister seit Beame, vielleicht sogar seit La Gardia!«
»Du bist ein Millionär. Deine Freunde ebenfalls«, sagte ich. »Man kann keinen respräsentativen Querschnitt der Volksmeinung bekommen, wenn man mit Millionären zusammen ist. Du bist nicht einmal ein typischer Jude, Bob. Du hast es selbst gesagt: Du bist Sepharde, du bist Latiner, und die Sephardim sind eine Elite, eine Minderheit innerhalb einer Minderheit, eine aristokratische kleine Kaste, die sehr wenig mit Mr. Goldstein und Mr. Rosenblum gemein hat. Quinn könnte täglich die Unterstützung von hundert Rosenblums verlieren, und deine Gesellschaft von Spinozas und Cardozos würde davon nichts ahnen, bis sie es in der Times läse. Stimmt’s?«
Achselzuckend sagte Lombroso: »Ich gebe zu, daß da etwas Wahres dran ist. Aber wir kommen vom Thema ab, oder? Was ist dein eigentliches Problem, Lew?«
»Ich möchte Quinn raten, die Kuwait-Rede nicht zu halten oder aber die Witzeleien sein zu lassen. Carvajal läßt mich kein Wort sagen.«
»Läßt dich nicht?«
»Er sagt, die Rede werde so stattfinden, wie er es vorhergesehen habe, und er besteht darauf, daß ich es einfach geschehen lasse. Wenn ich versuche, Quinn an dem zu hindern, was das Drehbuch für den Tag vorsieht, will Carvajal die Beziehung zu mir abbrechen.«
Lombroso, der kummervoll und beunruhigt aussah, ging in kleinen Kreisen durch sein Büro. »Ich weiß nicht, was verrückter ist«, sagte er schließlich, »daran glauben, daß Carvajal die Zukunft sieht, oder fürchten, daß er es dir heimzahlt, wenn du Quinn von seiner Vorahnung berichtest.«
»Es ist keine Vorahnung. Es ist eine echte Vision.«
»Das sagst du.«
»Bob, mehr als alles andere will ich, daß Quinn es in diesem Land zu einem höheren Amt schafft. Ich habe kein Recht, ihm Daten vorzuenthalten, besonders, wenn ich eine einzigartige Quelle wie Carvajal gefunden habe.«
»Carvajal ist vielleicht nur…«
»Ich vertraue ihm völlig!« sagte ich mit einer Leidenschaft, die mich selbst überraschte, denn bis zu diesem Zeitpunkt waren noch Zweifel über Carvajals Kräfte in mir wach gewesen, und nun hatte ich mich ihrer Zuverlässigkeit voll und ganz ausgeliefert. »Deshalb kann ich einen Bruch mit ihm nicht riskieren.«
»Dann sprich doch mit Quinn über die Kuwait-Rede. Wie soll Carvajal wissen, daß du verantwortlich bist, wenn Quinn die Rede nicht hält?«
»Er wird es wissen.«
»Wir können erklären, daß Quinn krank ist. Wir können ihn
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