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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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auch.«
    »Haben Sie etwas gesehen, das…«
    »Nein. Nichts.«
    »Ich muß es wissen. Wenn Sie irgendwelche Anhaltspunkte für einen geplanten Anschlag auf das Leben des Bürgermeisters haben, machen Sie damit keine Spielchen. Ich möchte es wissen.«
    Carvajal sah belustigt drein. »Sie mißverstehen mich. Quinn schwebt in keinerlei persönlicher Gefahr, von der ich wüßte, und ich habe meine Worte schlecht gewählt, wenn sie das impliziert haben. Was ich sagen wollte, ist, daß Gottfrieds Taktiken ihm Feinde gemacht haben. Wenn er nicht ermordet worden wäre, hätte er vielleicht – nur vielleicht – Schwierigkeiten mit der Wiederwahl gehabt. Auch Quinn macht sich in letzter Zeit Feinde. In dem Maße, wie er den Stadtrat immer öfter umgeht, verärgert er bestimmte Wählerblocks.«
    »Die Schwarzen, ja, aber…«
    »Nicht nur die Schwarzen. Insbesondere die Juden fangen an, sich über ihn zu beschweren.«
    »Das war mir nicht bewußt. Die Umfragen zeigen nicht, daß…«
    »Noch nicht, nein. Aber in einigen Monaten wird es an die Oberfläche kommen. Zum Beispiel sein Standpunkt in der Frage des Religionsunterrichts in den Schulen hat ihm offenbar in den jüdischen Wohnvierteln schon geschadet. Und seine Kommentare über Israel bei der Einweihung des neuen Hochhauses der Bank von Kuwait in der Lexington Avenue…«
    »Diese Einweihung findet erst in drei Wochen statt«, belehrte ich ihn.
    Carvajal lachte. »Wirklich. Oh, ich habe die Dinge wieder durcheinandergebracht, nicht wahr? Ich dachte, ich hätte seine Rede im Fernsehen gesehen, aber vielleicht…«
    »Sie haben sie nicht gesehen. Gesehen haben Sie sie.«
    »Kein Zweifel. Kein Zweifel.«
    »Was wird er über Israel sagen?«
    »Nur ein paar kleine stichelnde Witzeleien. Aber die Juden hier sind für solche Bemerkungen extrem empfindlich, und die Reaktion war nicht – wird nicht gut sein. Sie wissen ja, New Yorker Juden sind traditionell mißtrauisch gegenüber Politikern irischer Abstammung. Insbesondere gegenüber irischen Bürgermeistern; aber nicht einmal für die Kennedys hatten sie so sehr viel übrig.«
    »Quinn ist genauso wenig Ire wie Sie Spanier sind«, sagte ich.
    »Jeder, der Quinn heißt, ist für die Juden ein Ire, und seine Nachkommen bis zur fünfzigsten Generation werden Iren sein, und ich bin ein Spanier. Sie mögen Quinns Aggressivität nicht. Bald werden sie finden, daß er nicht die richtige Einstellung zu Israel hat. Und sie werden vernehmlich schimpfen.«
    »Wann?«
    »Im Herbst. Die Times wird auf der ersten Seite einen Artikel über die Entfremdung der jüdischen Wählerschaft bringen.«
    »Nein«, sagte ich. »Ich werde veranlassen, daß Lombroso an Quinns Stelle zu der Kuwait-Einweihung geht. Dann macht Quinn erst gar nicht den Mund auf, und wir rufen allen ins Gedächtnis, daß wir einen Juden auf der höchsten Ebene der Stadtregierung haben.«
    »Oh, nein, das können Sie nicht machen«, sagte Carvajal kopfschüttelnd.
    »Warum nicht?«
    »Weil Quinn die Rede halten wird. Ich habe ihn gesehen.«
    »Und wenn ich veranlasse, daß Quinn in der Woche nach Alaska fährt?«
    »Bitte, Lew! Es ist unmöglich, daß Quinn am Tag der Einweihung irgendwo anders als im Gebäude der Bank von Kuwait ist. Unmöglich!«
    »Und wahrscheinlich auch unmöglich, daß er seine Witzchen über Israel sein läßt, selbst wenn er gewarnt wird?«
    »Ja.«
    »Das kann ich nicht glauben. Wenn ich morgen zu ihm sage, he, Paul, meine Ermittlungen ergeben, daß die jüdischen Wähler unruhig werden, also laß lieber die Kuwait-Sache, dann wird er sie lassen. Oder seine Zunge im Zaum halten.«
    »Er wird hingehen«, sagte Carvajal ruhig, »und seine Witzchen vom Stapel lassen.«
    »Egal, was ich sage oder tue?«
    »Egal, was Sie sagen oder tun, Lew.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Die Zukunft ist nicht so unerbittlich, wie Sie denken. Ein Wörtchen haben wir bei dem, was kommt, schon auch mitzureden. Ich werde mit Quinn über die Kuwait-Zeremonie sprechen.«
    »Bitte, tun Sie das nicht!«
    »Warum nicht?« fragte ich grob. »Weil Sie wollen, daß die Zukunft so kommt, wie Sie sagen?«
    Damit schien ich ihn verletzt zu haben. Sanft sagte er: »Weil ich weiß, daß die Zukunft immer so kommt, wie ich sie gesehen habe. Bestehen Sie darauf, das zu überprüfen?«
    »Quinns Interessen sind meine Interessen. Wenn Sie gesehen haben, daß er etwas tut, was diesen Interessen schadet, wie kann ich da still sitzen und ihn einfach drauflosmachen lassen?«
    »Es gibt keine

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