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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Altar eines örtlichen Transit-Hauses zugebracht, wenn sie Altäre haben, oder vielleicht hatte sie ein Bordell in der Bronx beehrt. Wußte es nicht, wollte mich nicht dafür interessieren. Wir hatten uns schlimm auseinandergelebt, wir liefen Seite an Seite über dünnes Eis und blickten nicht ein einziges Mal zum anderen, wechselten kein einziges Wort, glitten nur stumm auf ein unbekanntes und gefährliches Ziel zu. Transit-Prozesse beanspruchten ihre Energien Tag und Nacht, Nacht und Tag. Was bringt es dir? wollte ich sie fragen. Was bedeutetes dir? Aber ich fragte nicht. An einem klebrigen Abend im Juli kam sie spät von Gott weiß was für Aktivitäten in der Stadt nach Hause – in einen türkisfarbenen Sari gekleidet, der an ihrer feuchten Haut so aufreizend haftete, daß man sie im puritanischen Neu-Delhi wegen öffentlicher Unzucht zu zehn Jahren verdonnert hätte – und kam zu mir, legte ihre Arme auf meine Schultern, seufzte und lehnte sich eng an mich, so daß ich die Wärme ihres Körpers fühlte, die mich zittern machte; und ihre Augen suchten meine, und in ihren dunkelglänzenden Augen war Schmerz und Verlorenheit und Bedauern, ein furchtbarer Blick voll Kummer. Und als ob ich ihre Gedanken lesen könnte, hörte ich sie deutlich sagen: »Sag das Wort, Lew, sag nur das Wort, und ich lasse sie laufen, und alles wird wieder, wie es war.« Ich weiß, das war es, was ihre Augen mir sagten. Aber das Wort sagte ich nicht. Warum blieb ich stumm? Weil ich argwöhnte, daß Sundara bloß ein neues bedeutungsloses Transit-Spiel an mir ausprobierte, ein Spiel á la Hast-du-gedacht-ich-mein-es-ernst? Oder weil ich irgendwo in meinem Innern nicht wollte, daß sie von der Bahn, die sie gewählt hatte, abwich?
     
24
    Quinn rief mich zu sich. Es war am Tag vor der Zeremonie im neuen Gebäude von Kuwait.
    Er stand in der Mitte seines Büros, als ich eintrat. Der Raum war eintönig, von trostloser Funktionalität, kein Vergleich mit Lombrosos ehrgebietendem Heiligtum – dunkles, klobiges Mobiliar, Porträts früherer Bürgermeister –, aber heute schimmerte darin eine unheimliche Helligkeit. Sonnenlicht, das durch das Fenster hinter Quinn hereinströmte, umhüllte ihn mit einer blendenden, goldenen Aura, und er schien Stärke, Autorität und Zielgewißheit auszustrahlen, eine Lichtflut von sich zu geben, die intensiver war als die, die er empfing. Ein Jahr und ein halbes als Bürgermeister New Yorks hatten Spuren an ihm hinterlassen: Das Netz feiner Fältchen um seine Augen herum war tiefer als am Tag seiner Amtseinführung, das blonde Haar hatte etwas von seinem Glanz verloren, seine stämmigen Schultern schienen sich ein wenig zu krümmen, als drücke ihn ein unmögliches Gewicht. In diesem übellaunigen, feuchten Sommer hatte er oft müde und gereizt gewirkt, und es hatte Zeiten gegeben, wo er viel älter als neununddreißig schien. Aber alles das war jetzt von ihm abgefallen. Der alte Quinnsche Elan war zurückgekehrt. Seine Gegenwart füllte den Raum.
    Er sagte: »Erinnerst du dich, daß du mir vor etwa einem Monat gesagt hast, neue Muster entwickelten sich, und du könntest mir bald eine Vorhersage für das kommende Jahr machen?«
    »Sicher: Aber ich…«
    »Warte. Neue Faktoren sind ins Spiel gekommen, aber du kennst noch nicht alle. Ich möchte sie dir darlegen, damit du sie in deine Synthese einbeziehen kannst, Lew.«
    »Was für Faktoren?«
    »Meine Pläne für die Präsidentschaftskandidatur.«
    Nach einer langen, unbeholfenen Pause brachte ich schließlich heraus: »Du willst nächstes Jahr kandidieren?«
    »Nächstes Jahr sind meine Chancen keinen Pfifferling wert«, erwiderte Quinn gleichmütig. »Meinst du nicht auch?«
    »Ja, aber…«
    »Kein aber. Die Kandidaten im Jahr 2000 sind Kane und Socorro. Ich brauche nicht dein Geschick für Prognosen, um das zu wissen. Sie haben jetzt schon genug Delegierte in der Tasche, um die Nominierung im ersten Wahlgang zu kriegen. Dann treten sie nächstes Jahr im November gegen Mortonson an und beziehen Prügel. Ich schätze, Mortonson wird den größten Erdrutsch seit Nixon ‘72 einheimsen, egal, wer gegen ihn kandidiert.«
    »Das glaube ich auch.«
    Quinn sagte: »Deshalb rede ich von Null-Vier. Mortonson kann sich nicht noch einmal zur Wahl stellen, und die Republikaner haben niemanden von seiner Statur. Wer auch immer sich die Neu-Demokraten-Nominierung in dem Jahr schnappt, wird Präsident, richtig?«
    »Richtig, Paul.«
    »Kane wird keine zweite Chance

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