Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
zu.
Nur einen Herzschlag später wurde die Zimmertür aufgerissen, der Vater kam heraus, drinnen saß die Mutter und schluchzte leise. Wolf war wie erstarrt. Er wusste, er sollte die Flucht ergreifen und seinen Bruder und sich in Sicherheit bringen. Doch er konnte sich von dem zutiefst betrübten Gesicht seiner Mutter einfach nicht losreißen, die in sich zusammengesunken auf einem Stuhl saß. Tränen liefen ihr übers Gesicht, und in einer Hand hielt sie einen kleinen weißen Stein.
»Kommt hervor, damit ich euch sehen kann, Jungs. Ich weiß, dass ihr da seid.« Eine Armlänge von ihnen entfernt blieb der Vater stehen.
Wolf verließ den schützenden Schatten und trat ins Licht, um sich zwischen seinen Vater und Walter zu stellen. »Was willst du?«
»Ihr kommt mit mir.«
»Unser Platz ist bei unserer Mutter«, widersprach Wolf ihm kühn. »Sie braucht jemanden, der sie beschützt, nachdem Ihr sie nun verstoßen habt.«
»Ich stelle euch nicht vor eine Wahl«, gab sein Vater gereizt zurück. »Die Vereinbarung wurde getroffen, und ich bekomme meine Söhne im Tausch für den Schicksalsstein.«
»Unsere Mutter würde einer solchen Vereinbarung niemals zustimmen.«
»Ihr blieb auch keine andere Wahl. Der Stein stellt für sie eine Möglichkeit dar, ihre Söhne zu sehen und herauszufinden, wie es euch ergeht, wenn ihr für mich arbeitet.« Und mit einem Schulterzucken fügte er an: »Allerdings bezweifle ich, dass ihr die Bilder gefallen werden.«
»Warum heute?«, fragte Wolf wütend. »Wofür brauchst du uns diesmal?«
»So viele Fragen auf einmal.« Sein Vater lächelte flüchtig. »Das ist gut. Deine Neugier wird dir noch dienlich sein, wenn du als mein Söldner unterwegs bist.«
Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er seinem Vater in die Augen sah. »Wir sind deine Söhne.«
»Aye, und jeder Sohn hat die Pflicht, seinen Vater vor dessen Feinden zu beschützen.«
Das würde er nicht wagen. Das konnte er nicht tun! »Wir sind zu jung.«
»Du bist alt genug«, gab sein Vater zurück und bekam Wolf zu fassen.
»Lauf weg, Walter! Lauf und versteck dich, bis Vater weg ist!« Wolf gab seinem Bruder einen kräftigen Schubs, damit der zur Tür lief. Der Mann machte einen Schritt zur Seite und versuchte, sich den jüngeren Burschen zu schnappen. Doch Wolf trat mit seinem Stiefel mit aller Kraft auf den Fuß seines Vaters.
Der heulte vor Schmerz auf und verstärkte seinen Griff um Wolfs Arm. »Dich kriege ich schon noch.«
»Nur über meine Leiche«, konterte Wolf und straffte die Schultern, während er gegen den Schock und seine Fassungslosigkeit ankämpfte. Sein Vater wollte ihn von hier wegholen und zu einem Mörder ausbilden. Aber Walter würde er kein Haar krümmen, nicht dem unschuldigen, sanftmütigen Walter.
»Das hättest du nicht tun sollen, Junge«, zischte sein Vater ihm zu. »Dafür wirst du für den Rest deines Lebens bezahlen.«
Sein Vater hatte Wort gehalten. Wolf musste teuer dafür bezahlen und seine Seele opfern. Er wurde gezwungen, im Namen seines Vaters in den Highlands Angst und Schrecken zu verbreiten, diejenigen einzukerkern oder zu töten, die sich ihm widersetzten, und das Land zu plündern, und so hatten die Menschen ihn umgetauft in den Schwarzen Wolf von Schottland. Jahrelang hatte er die absurdesten Ansinnen seines Vaters befolgt, nur damit Walter nichts zustieß, bis Wolf nicht länger das Wehklagen derer überhören konnte, deren Leben er zerstörte.
Er entzog sich dem Würgegriff seines Vaters und stellte eine eigene Armee aus Soldaten auf, auf deren Treue er sich verlassen konnte. Mit einer Truppenstärke, die der des Königs überlegen war, hatte er sich endlich von seinem Vater befreien können.
Doch das war auch der Moment gewesen, da der Vater die Jagd auf Walter begann.
Wann würde das alles ein Ende nehmen? Sollte sein Vater tatsächlich Ruhe geben, wenn Wolf diese Frau heiratete?
Sein Blick kehrte zu der jungen Frau zurück, die ihn anschaute und ihren Beutel weiter fest umklammert hielt. In ihren dunkelbraunen Augen funkelte Entschlossenheit, die ihn erkennen ließ, dass sie sich zwar vorläufig geschlagen gab, aber nicht beabsichtigte, sich von ihm ihre ganze Zukunft bestimmen zu lassen.
Anstatt darauf verärgert zu reagieren, bemerkte Wolf, wie sich sein Mund wie aus eigenem Antrieb zu einem Lächeln verzog. Zumindest war sie eine Kämpfernatur. Er nickte knapp, dann drehte er sich um und klopfte seinem Bruder zum Gruß auf die Schulter. »Sind
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