Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
»Kanonenkugel!«, brüllte Brahan und eilte zur Reling. Das Heulen wurde lauter und lauter, bis auf einmal eine Fontäne gleich neben dem Schiff in die Höhe schoss.
Die Ategenos neigte sich heftig nach Backbord, eine regelrechte Wand aus kaltem Wasser ergoss sich über das Deck und durchnässte die Besatzung. Brahan verlor dabei den Halt.
Mit einer Hand bekam Wolf Brahans Arm zu fassen, mit der anderen packte er die Frau und drückte sie fest an sich, bis sich das Schiff nicht mehr in Schräglage befand. Trotz der eisigen Kälte verspürte er dort wohlige Wärme, wo ihr Körper den seinen berührte.
Sie errötete leicht, als sie bei sich die gleiche Reaktion bemerkte, und wandte sich um. »Mein Beutel!«, rief sie und griff an ihm vorbei nach dem durchnässten braunen Beutel, dessen Inhalt auf einmal unruhig wurde.
Brahan kam wieder auf die Beine. »Wir werden angegriffen! Habe ich dich nicht schon zu Beginn dieser Reise gewarnt, dass so etwas passieren würde? Hat der Stein nicht prophezeit, dass dies unser Untergang werden würde?«
»Nicht jetzt!« Er spürte, wie die Frau in seinen Armen zitterte, und schob sie Brahan zu. »Bring sie nach unten.«
»Mein Beutel!«, rief sie und versuchte, sich aus dem Griff des anderen Mannes zu befreien.
»Ich kümmere mich darum!«, gab Wolf zurück und widmete sich dem Gefecht, das soeben begonnen hatte. »Kanone bereitmachen«, brüllte er und machte sich gefasst, den Schurken eine Lektion zu erteilen, die das Feuer auf sein Schiff eröffnet hatten. Niemand griff ungestraft den Schwarzen Wolf von Schottland an.
Drittes Kapitel
»Alle Mann auf ihre Posten!«, brüllte Walter. »Wenn die mehr als eine Kanone besitzen, können sie jederzeit wieder feuern!« Unter Walters Führung wurde die Kanone geladen. Es handelte sich um eine kleine, leichte Waffe, leistungsfähig genug, um ein Loch in den Rumpf eines gegnerischen Schiffs zu schießen.
Wolf griff nach dem zuckenden, nassen Beutel, der an Deck lag, und hörte ein seltsames Krächzen aus dem Inneren. »Was …?«
Er öffnete den Beutel und starrte ungläubig den Inhalt an. Ein Huhn? Ein protestierendes Gackern ertönte, gefolgt von einem wilden Flügelschlagen, durch das etliche braune Federn aufflogen. Hastig schloss er den Beutel wieder, doch es war bereits zu spät. Das Tier hatte den Weg in die Freiheit gesehen und hackte durch den Wollstoff hindurch nach seiner Hand. Zwar hielt er den Beutel von sich weg, aber seine Finger waren vor der Attacke durch das Huhn nicht geschützt. Im nächsten Moment wurde er abgelenkt, da eine weitere Kanonenkugel im Wasser einschlug, diesmal vor der Backbordseite.
»Feuert, sobald ihr bereit seid!«, brüllte er, während er einen Satz auf ein Fass zu machte, das einmal mit Getreide gefüllt gewesen war. Er steckte den Beutel mit dem Huhn hinein, dann wandte er sich wieder seinen Männern zu. »Wollen unsere Angreifer einen Kampf haben, dann liefern wir ihnen einen, den sie so schnell nicht vergessen werden.«
Er betrachtete das feindliche Schiff. Wer waren seine Angreifer? Hatte sein Vater sie ihnen auf den Hals gehetzt? Oder handelte es sich um einen seiner eigenen Feinde, der gekommen war, um Vergeltung zu üben?
Die Kanone seines Schiffs feuerte die Kugel mit einem ohrenbetäubenden Lärm ab. Der beißende Geruch von Schießpulver hing in der Luft. Wolf sah zu, wie die Kanonenkugel sich dem anderen Schiff näherte und ein Loch in den Bug auf der Backbordseite riss. Die Jubelrufe auf seinem Schiff mischten sich mit den entsetzten Schreien des Gegners, dessen Schiff deutlich langsamer wurde.
»Sollen wir uns zum Entern bereitmachen?«, erkundigte sich Walter.
»Nein.« Durch einen Schleier aus grauem Rauch beobachtete Wolf, wie sich das feindliche Schiff leicht zur Seite neigte. »Wir müssen Torridon erreichen, und das so schnell wie möglich.«
Walter gab den Befehl an die komplette Besatzung weiter.
Zorn regte sich in Wolf. Wer immer diese Angreifer waren, sie würden so bald die Verfolgung nicht aufnehmen können. Für den Augenblick bestand für sein Schiff keine Gefahr, aber die Frage war, ob sie ihre Reise wie geplant fortsetzen konnten. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, dass sie von St. Kilda nach Torridon segelten, um im dortigen Hafen von Bord zu gehen und die zweitägige Reise über Land anzutreten. Nur innerhalb der Mauern seiner eigenen Burg konnte er die Sicherheit seiner Männer garantieren, und die Frau würde dort auch gut aufgehoben
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