Der Sehnsucht verfallen: Roman (German Edition)
wir zum Lossegeln bereit?«
Walter nickte erleichtert, bis er die junge Frau anschaute. »Ihr verdanke ich meine Freiheit?« Sein Blick war plötzlich wie versteinert. »An deiner Stelle würde ich den Zorn unseres Vaters riskieren und sie hier zurücklassen.«
Wolf hob die Brauen. Mehr als jeder andere sollte sein Bruder verstehen, warum er so entschieden hatte. »Ich habe ein Versprechen gegeben, durch das du aus Vaters Kerker freigekommen bist.«
»Ich weiß zu schätzen, was du alles meinetwegen erdulden musstest, Wolf. Doch warum willst du dir selbst noch mehr Schmerz zufügen? Versprechen hin oder her, aber musst du sie wirklich heiraten?« Walter verzog missbilligend das Gesicht. »Durch sie wirst du dich nur wieder an Vater binden. Das kann sie kaum wert sein. Sieh dir doch nur dieses schmächtige Ding an.«
Sie reckte das Kinn, als sie von allen abschätzig gemustert wurde, um sich ein Urteil zu bilden, ob Walters schmähende Bemerkungen wohl zutrafen. Dennoch blieb sie weiter stumm.
»Das reicht, Walter. Durch sie hast du deine Freiheit wiedererlangt, und allein das zählt.« Wolf richtete seine geballte Verärgerung gegen seinen Bruder. »Keine weiteren Kommentare mehr, und auch keine Ausflüchte. Dir wurde ein Neuanfang ermöglicht, und du solltest daraus das Beste machen.«
Walters Gesicht wurde bleich, dann drückte er energisch den Rücken durch. »Danke, dass du mir das Kommando über die Ategenos übertragen hast. Diesmal enttäusche ich dich nicht, das verspreche ich dir.«
Wie oft hatte Wolf diese Worte bereits zu hören bekommen! Aber vielleicht gelang es Walter diesmal ja tatsächlich, sich an sein Versprechen zu halten und sich nicht ein weiteres Mal in Schwierigkeiten zu bringen. »Wäre ich nicht davon überzeugt, dass du dieser Aufgabe gewachsen bist, dann hätte ich dich nicht zum Ersten Maat ernannt.« Wolf ließ seinen Blick über das Deck wandern und ging im Geiste durch, was alles getan werden musste, um wieder in See zu stechen. »Der Wind frischt auf. Ich möchte, dass wir sofort lossegeln.«
Walter nickte und brüllte die notwendigen Befehle, damit das kleine Beiboot an Bord gehievt und der Anker eingeholt wurde. Wenn St. Kilda erst einmal hinter ihnen lag, wäre Wolf frei, das zu tun … Er sah zu der jungen Frau und vergaß den Rest seines Gedankens, als er in ihrem Gesicht eine Mischung aus Ehrfurcht und Angst entdeckte, während sie die Besatzung beim Setzen der erforderlichen Segel beobachtete. Sobald sich der Wind in den großen Stoffplanen fing, verließ das Schiff langsam den Hafen.
Die salzige Luft strich über Wolfs Gesicht und ließ ihn den Geschmack der Freiheit kosten. So empfand er immer, wenn er die erste Brise Meeresluft spürte. Hier gab es keine Anforderungen, denen er gerecht werden musste, niemand erwartete etwas von ihm. Hier gab es nur die See, mit der er eins werden konnte.
Die Segel flatterten, dann blähten sie sich auf, als der Wind mit seiner ganzen Kraft auf sie traf. Die Ategenos machte einen Satz nach vorn, pflügte sich durch eine Woge und fiel in das Wellental gleich dahinter, nur um sich dann der nächsten Welle zu nähern. Er genoss diesen Rhythmus ebenso wie das Knarren der Planken, das Rascheln der Segel und das Knattern der Takelage. Er atmete tief ein und erfreute sich an der Gischt, die über die Reling spritzte und sich auf dem Deck verteilte.
»Verzeiht bitte.« Die junge Frau rannte an ihm vorbei, ihr Gesicht war kreidebleich, und im nächsten Moment beugte sie sich bereits weit über die Reling auf der Steuerbordseite.
Er folgte ihr zur Reling und fragte: »Seid Ihr noch nie auf einem Schiff gewesen?«
»Ich habe die Insel nie verlassen«, stöhnte sie.
Er betrachtete sie, wie sie neben ihm stand. In jeder anderen Situation hätte er es sich gestattet, Mitleid mit dieser jungen Frau zu empfinden, doch jetzt und hier konnte er das nicht. Wenn er etwas für sie empfand, spielte er damit nur seinem Vater in die Hände. Warum sonst hätte der König auf einer Heirat bestanden? Wie Walter ganz richtig betont hatte, beabsichtigte ihr Vater, Wolfs Verbindung zu dieser Frau zu nutzen, damit der sich dem Willen des Königs beugte. Wolf straffte entschlossen die Schultern. Nein, das würde er niemals zulassen.
Die gleiche Brise, die eben noch seine Seele gereinigt hatte, fühlte sich nun schwer und kalt an. Er zog den wärmenden Wollmantel enger um sich, und drehte sich wieder zu der jungen Frau um, die herzerweichend zitterte. Mit
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