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Der Seitensprung

Titel: Der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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legte das Mobiltelefon wieder weg und beschloss, am Abend, wenn Axel eingeschlafen war, Kerstin anzurufen und zu bitten, in Zukunft besser aufzupassen. Falls sie sich überhaupt dazu durchringen konnte, Axel dorthin zu bringen, bevor man nicht den fremden Mann gefunden hatte, der Axel mit Namen kannte.
    Das Problem löste sich, sobald sie ihren Eltern von dem Ereignis erzählt hatte. Sie boten an, dass Axel ein paar Tage bei ihnen bleiben dürfte. Bis sie sicher waren, dass der Mann nicht wiederkommen würde.
    Sie saßen in der Küche, jeder hielt eine Kaffeetasse in der Hand, vor ihnen stand ein selbst gebackener Butterkuchen, und alles hätte genauso zeitlos und heimelig sein können wie immer, wenn sie ihr Elternhaus besuchte. Stattdessen saß sie mit klopfendem Herzen da, voller Schuld und Scham über ihre eigene Unvollkommenheit. Axel hatte sich an das alte ungestimmte Klavier im Wohnzimmer gesetzt, und sie hörten, wie er klimperte, wie er hartnäckig nach den richtigen Tönen für das Lied »Der Kuckuck und der Esel« suchte, das sie ihm mit Beharrlichkeit beizubringen versucht hatte.
    Jetzt musste sie es ihnen erzählen, denn Axel konnte nicht mithören, was auf ihn zukam. Dass sein Papa ausziehen und nicht mehr zu Hause wohnen würde. Sie nahm immer wieder Anlauf, doch wo waren die Worte, ihre Niederlage einzugestehen? Dass sie verschmäht worden war. Verstoßen.
    Aussortiert. Unerwünscht. Dass sie ihrem Mann nicht mehr gut genug war.
    Je vollständiger »Der Kuckuck und der Esel« wurde, desto wortkarger wurde sie und wusste, dass die Zeit langsam, aber sicher verrann.
    »Wie steht es denn überhaupt?«
    Sie begegnete dem Blick ihrer Mutter, die gespürt haben musste, dass etwas nicht stimmte.
    »So einigermaßen.«
    Es entstand eine kurze Pause, in der ihre Eltern sich ansahen, dieser Blick, der ein vollkommenes Einverständnis ausdrückte, der alle Worte überflüssig machte, ein Blick, den sie auch gern ihr Leben lang mit jemandem geteilt hätte.
    »Wir wollen uns ja nicht einmischen, aber wenn du etwas mit uns besprechen möchtest ...«
    Ihr Vater vollendete den Satz nicht und überließ ihr damit die Initiative. Sie spürte, wie ihre Hände zitterten, und fragte sich, ob es zu sehen war. Niemals hätte sie geglaubt, dass es einmal so schwer sein würde, die beiden um Hilfe zu bitten. Die Wahrheit zu sagen.
    Sie schluckte.
    »Es läuft wohl nicht so gut.«
    »Nein, das haben wir gemerkt.«
    Wieder wurde es still. Bald würden der Kuckuck und der Esel sich versöhnt haben, jede Sekunde war kostbar.
    Mit einer ungeheuren Kraftanstrengung sprach sie die Worte aus.
    »Henrik und ich werden uns scheiden lassen.«
    Ihre Mutter und ihr Vater saßen vollkommen ruhig da, keine Reaktion war in ihren Gesichtern abzulesen. Ihr selbst fiel es schwer, sich auf ihrem Stuhl zu halten. Zum ersten Mal hatte sie den Worten Klang verliehen und ihnen erlaubt, von außen in sie einzudringen. Hatte sie in Stein geritzt und wie eine unwiderrufliche Tatsache hinaus ins Universum geschickt. Zum ersten Mal wurde ihr Inhalt greifbar, sie war eine von den Gescheiterten, die ihre Kinder zu Scheidungskindern machten.
    »Dann sieht es also schlimm aus.«
    Ihr Vater hatte eine Sorgenfalte auf der Stirn.
    Seine Worte verwirrten sie. Warum waren sie nicht erstaunt? Was hatten sie gesehen, das sie nicht sehen konnte?
    Ihre Mutter deutete ihre Reaktion wie gewöhnlich richtig, sie begann mit bekümmerter Stimme zu erklären.
    »Ja, wir können wohl ehrlich sein. Wir haben uns schon von Anfang an gedacht, dass du und Henrik, dass ihr ein bisschen zu, wie soll man sagen, vielleicht zu unterschiedlich seid. Aber du warst dir so sicher und wolltest so gerne, was sollten wir also sagen, und mit welchem Recht hätten wir uns in die Sache einmischen dürfen, wenn du heiraten wolltest? Du hast ja immer getan, was du dir vorgenommen hast.«
    Liebevoll legte sie eine Hand auf Evas und lächelte ein wenig.
    »Wir haben ja gesehen, wie es bei euch lief, und schon befürchtet, du könntest diese Ehe auf die Dauer leid werden. Er würde deinen Ansprüchen nicht genügen, und wir wussten ja genau, dass du hohe Erwartungen hattest. Damit möchte ich nicht gesagt haben, dass wir besonders froh sind, Recht behalten zu haben.«
    Sie zog ihre Hand zurück, aus Angst, ihre Mutter könnte bemerken, wie sehr sie zitterte. Ein einziges Chaos. Sie sah sich in der Küche um, ließ den Blick auf dem alten Glastablett an der Wand verweilen, das aus dem Haus ihrer

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