Der Seitensprung
Großmutter stammte. Generationen von strebsamen Paaren hatten ihr durch ihre Anstrengungen eine Chance gegeben und sie hierher geführt. Aus gutem Hause. Seit Generationen. Bis sie kam und mit ihrem Scheitern die Kette zerriss. Die große Verliererin, die ihrem Mann nicht gut genug war und ihren Sohn und den Rest der Kette prägen und ihr neue Bedeutungen mitgeben würde, die Liebe und Ehe betrafen. Etwas Trügerisches und Unzuverlässiges. Nicht wert, dass man darum kämpfte. Oder überhaupt daran glaubte.
Ihr Vater stellte mit einem vertrauten Klirren seine Kaffeetasse ab.
»Wie nimmt Henrik es auf? Für ihn muss diese Zeit sehr belastend sein.«
Sie sah ihre verstummte Mutter an. Und dann ihren Vater, der noch immer so stolz auf seine Tochter war, die selbst das Kommando über ihr Leben übernahm, die sich nicht mit weniger als dem Besten zufrieden gab, die so viel mehr verdient hatte.
Und ein Eisengitter fiel vor die Wahrheit.
»Doch. Es geht ihm ganz passabel.«
»Was habt ihr mit dem Haus vor?«
Überleg genau, was du sagst.
Gedämpft und kraftlos versuchte die Stimme aus ihrem Inneren sich ein letztes Mal Gehör zu verschaffen.
Wie man sich bettet, so liegt man.
Dann drehte sie den Kopf, schaute ihrem Vater in die Augen, und die Stimme der Eva, die es einmal gegeben hatte, gab auf und verstummte, um sie von nun an nie wieder zu warnen.
Und tief im Innern betete sie darum, ein einziges Mal in ihrem Leben jemanden zu finden, der ihr zur Seite stehen und sie lieben würde, jemand, an den sie sich anlehnen durfte, wenn sie selbst nicht mehr in der Lage war zu kämpfen.
»Ich möchte Henrik gern ausbezahlen und das Haus behalten. Dafür müsste ich mir Geld leihen.«
»WIDERLICH« WAR DAS Wort, das nach seinem Empfinden den Rest der Kreuzfahrt am besten beschrieben hätte, obwohl es sich dabei um eine Untertreibung handelte. Die Ostsee hatte glatt wie ein Spiegel dagelegen, aber die äußere Ruhe wurde zur Genüge von dem Orkan wettgemacht, der in ihn gefahren war. Der jedes einzelne Gefühl mit sich fortriss, das er fest verankert in einem endgültig gefassten Beschluss geglaubt hatte. Alles, was er gefühlt, gewollt, sich erträumt hatte. Alles war plötzlich ein einziger Wirrwarr, in dem sich nichts mehr dort befand, wo es hingehörte.
Während der längsten halben Stunde seines Lebens hatte sie eingeschlossen im Bad gesessen, bevor sie herausstürzte, rasend vor Wut ihre Sachen packte und ohne ein Wort die Tür der Luxuskabine hinter sich zuknallte.
Er selbst war sitzen geblieben, wo er saß, und hatte durch die Luke auf die immer spärlicheren Schären geschaut und beobachtet, wie Stockholm und sein Zuhause außer Reichweite verschwanden. Nach einigen Stunden war er hinuntergegangen zur Rezeption und hatte die Rückfahrt auf diesen Abend verlegt. Sie hatte dasselbe getan, wie er erfuhr. Er hatte jedoch keine Ahnung, wo sie sich während der verbleibenden Fahrt aufhielt.
In Abo war er auf eine andere Fähre umgestiegen, und als wäre es eine Strafe, wurde ihm eine fensterlose Kabine auf dem unteren Deck unter der Wasseroberfläche zugeteilt, und darin hatte er seine Isolation fortgesetzt. Kurz nach Mitternacht wurde fordernd an die Kabinentür geklopft. Sie war betrunken, beschimpfte ihn wie eine Furie, benutzte alle hässlichen Wörter, die er jemals gehört hatte, und als er sich nicht verteidigte, ging ihr die Luft aus. Weinend sank sie auf dem Kabinenboden zusammen. Er war nicht in der Lage, sie zu trösten, ihm wollte um keinen Preis etwas einfallen, das er ihr hätte sagen können. Und als sie seine vollkommene Unfähigkeit erkannte, mit den Ereignissen umzugehen, wurde ihre Wut wieder zum Leben erweckt, mit einem neuen Schwall von Schimpfwörtern verschwand sie türenschlagend aus der Kabine und ließ ihn allein zwischen den engen Wänden zurück, von denen ihre Worte widerhallten. Ihm wurde klar, dass er jedes von ihnen verdient hatte, er blieb in ihrer Mitte sitzen und verbrachte die folgenden Stunden mit Selbstkritik, bis er es nicht mehr aushielt. Denn auch er war betrogen worden. Ein Richter hätte sich auf seine Seite stellen und die Strafe, die ihm für sein Verhalten gegenüber Linda gebührte, und das Mitleid, das er verdient hatte, weil Eva ihm so etwas antat, miteinander verrechnen müssen.
Alles wäre so viel einfacher gewesen, wenn es nur Schwarz und Weiß gegeben hätte. Der Balanceakt, zu dem er gezwungen sein würde. Der irrsinnige Wunsch, sie ohne eigene Schuld
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