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Der Seitensprung

Titel: Der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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einfach anzuklagen, sie stumm zu machen vor schlechtem Gewissen und ihr jede Möglichkeit zu rauben, sich zu verteidigen. Sie zwingen, ihre Niedertracht zuzugeben, und ihr dadurch endlich die Macht entreißen. Ihr überlegen sein.
    Stattdessen würde er untertänigst versuchen müssen, ihre Liebe zurückzugewinnen, sie zu erweichen, sie schmeichlerisch dazu zu überreden, bei ihm zu bleiben. Er würde seine Worte mit Bedacht wählen müssen und durfte ihr nicht die geringste Chance geben, ihr eigenes Vergehen zu schmälern, indem sie die Schuld auf ihn lud. Weil er keinen Deut besser gewesen war.
    Wie viel einfacher wäre es gewesen, wenn er von Anfang an die Wahrheit gesagt hätte. Wenn er seine heimliche Liebe oder Leidenschaft oder was immer das war, was er fühlte oder gefühlt hatte, gestanden hätte. Dann hätten sie an dem Punkt beginnen können, den sie jetzt erreichen mussten, alle Karten offen auf dem Tisch. Nun war es zu spät. Nun würde das Geständnis, dass er gelogen hatte, ihn tief in den Erdboden stampfen, und von dort aus würde er ihr nie wieder ebenbürtig werden. Auch wenn sie ihm das Gleiche angetan hatte, würde ihre Wortgewalt in Kürze alles, was wahr und richtig war, auf ihre Seite ziehen.
    Eva hatte etwas an sich, das ihn sich überflüssig fühlen ließ. Sie war so wahnsinnig stark. Es war, als hätten Widerstände eine entgegengesetzte Wirkung auf sie, verglichen mit dem, was sie mit anderen Menschen anstellten. Sie reagierte nicht normal. Widerstände waren für sie Grund und Triebkraft, noch stärker zu werden. Auf irgendeine unergründliche Weise gelang es ihr immer, eine Krise in eine Möglichkeit zu verwandeln. Und er stand stumm daneben und spürte, dass sie ihn nicht brauchte, dass sie alle Probleme auf eigene Faust löste, ohne Anspruch auf seine Hilfe zu erheben und seine Unterstützung zu benötigen. Stück für Stück hatte sie ihm die Verantwortung abgenommen, und am Ende hatte er selbst nicht mehr gewusst, was er konnte. Mein Gott, er durfte noch nicht einmal seine eigenen Fensterkuverts öffnen!
    Mit Linda war alles anders gewesen. Sie hatte offen zugegeben, dass sie ihn brauchte, es war einfach phantastisch, sich unentbehrlich vorzukommen. Endlich hatte er sich gefühlt wie ein Mann. Ohne Umschweife hatte sie zugegeben, dass es Dinge gab, die sie nicht konnte oder beherrschte, und im Unterschied zu Eva schämte sie sich nicht dafür. Im Gegenteil, sie bediente sich dieser Dinge, um ihm näher zu kommen, um sie abhängiger voneinander zu machen, sie dienten dazu, eine notwendige Zweisamkeit zu schaffen. Und er hatte ihre Zusammengehörigkeit genossen. In seinen Tagträumen hatte er sich vorgestellt, wie anders das Leben mit ihr sein würde. Wie anders er sein würde. Nun begriff er, wie naiv er gewesen, wie einfach ihm alles erschienen war, solange es sich nur um Phantasien handelte. Er hatte gedacht, er könnte Eva aus seinem Leben und seiner Zukunft herausschneiden, wie eine alte Warze, gegen die man endlich etwas unternahm. Alles würde aufgeräumt und sauber und voller Möglichkeiten sein. Ein unbefleckter Neuanfang, der unbeeinflusst war von allem Vorangegangenen, allen Entscheidungen, die er einmal getroffen hatte. Nun begriff er mit vernichtender Deutlichkeit, dass es niemals so werden konnte, dass sie für immer zusammengehörten, ob sie wollten oder nicht. Die Entscheidungen, die er einmal getroffen hatte, würden ihn durchs ganze Leben begleiten, Axel war eine der Konsequenzen. Er hatte nur die Vorteile gesehen, hatte vergessen, sich Axel und Eva mit einem anderen Mann vorzustellen, einem Mann, der im Übrigen genauso viel Zeit mit Axel verbringen würde wie er selbst. Der den heranwachsenden Axel mitprägen würde. Nachdem er den Idioten gesehen hatte, um den es ging, war der Gedanke umso unerträglicher.
    Aber unerträglich war auch der Gedanke, Linda zu verlieren.
    Oder von Eva verlassen zu werden.
    Oder nie von ihr geliebt worden zu sein.
    Verfluchte Scheiße.
    Er brauchte Zeit. Zeit, zu verstehen, was eigentlich geschah.
    Was er eigentlich wollte.
    Er stand auf und griff nach dem Kabinenschlüssel. Er musste sie suchen. Ob es aus Rücksicht war oder weil die Wände ihn zu ersticken drohten, wusste er nicht. Er bekam ihre Kabinennummer in der Rezeption, aber keine Antwort, als er anklopfte. An ihr Handy ging sie auch nicht. Systematisch durchforstete er die Bars und Restaurants des Schiffs. Was wollte er von ihr? Er wusste es nicht. Wusste nur, dass er mit ihr

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