Der Seitensprung
tiefen Seufzen sank er wieder auf die Sitzbank.
»Eva hat einen anderen.«
Ihre Arme, die so verkrampft über der Brust gekreuzt gewesen waren, fielen in ihren Schoß, als wären sie plötzlich aus einer quälenden Zwangsjacke befreit worden. Der missgelaunte Gesichtsausdruck löste sich mit einem einzigen Atemzug.
»Das ist doch perfekt, Henrik, das löst alle unsere Probleme!«
Zuerst hörte er nicht, was sie sagte, doch, die Worte hörte er, aber ihr Sinn war ihm vollkommen unverständlich.
Ihr Gesicht strahlte aufrichtige Freude aus. Als hätte sie gerade ein Paket geöffnet und das gefunden, was sie sich immer gewünscht, aber nie zu bekommen gehofft hatte.
»Na, dann ist ja endlich Schluss mit der Heimlichtuerei. Wenn sie bereits einen anderen hat, kriegt ja jeder, was er will.«
»Offenbar geht das schon seit einem Jahr.«
Es war augenscheinlich fast zu schön, um wahr zu sein. Sie strahlte reines Glück aus, als sie die ganze Situation mit wenigen Sätzen klärte.
»Unglaublich. Und du hattest solche Schuldgefühle wegen Axel und weil du die Familie kaputtmachst. Begreifst du nicht, was das bedeutet? Sie ist diejenige, und nicht du, die für die Scheidung verantwortlich ist. Sie war dir ja schon untreu, bevor wir uns kennen gelernt haben.«
Zum Abschluss ein Lobgesang auf die ganze Herrlichkeit des Lebens: »Du bist endlich frei!«
Plötzlich wurde ihm klar, dass sie niemals verstehen würde.
Und dass er es ihr niemals würde erklären können.
Es gab einen anderen Mann, der ihn von seinem Platz gestoßen hatte. Einen Mann, den Eva ihm vorzog, den sie attraktiver, spannender, intelligenter, würdiger fand.
Besser.
Ein Mann, der ein ganzes Jahr lang gewusst hatte, dass er ihm überlegen war, der Dinge über ihn gehört hatte, die ihm allesamt zum Nachteil gereichten, der arme Henrik, der nicht gut genug war, der nicht mehr zu bieten hatte. Er war hinters Licht geführt worden. Das feige Schwein war in den Kulissen seines Lebens umhergeschlichen, ohne sich zu zeigen, hatte aber die gesamte Zeit den Überblick und die Kontrolle über sein Leben besessen. Hatte hin und wieder ein wenig an den Fäden gezogen, während er selbst wie ein Idiot herumgerannt war und sich vor aller Welt erniedrigt hatte.
Die plötzliche Wut zwang ihn aufzustehen.
»Begreifst du denn nicht, was ich sage? Hier geht es doch nicht um Schuldgefühle, verdammt nochmal. Sie hat mich ein ganzes beschissenes Jahr lang hintergangen. Ein ganzes Jahr! Hat mit irgendeinem dämlichen Fünfundzwanzigjährigen gefickt und sich nichts anmerken lassen.«
Sein unerwarteter Gefühlsausbruch ließ sie vor Erstaunen verstummen, und die Pause bot ihm genug Zeit, seine Worte zu bereuen. Ein Konflikt war das Letzte, wozu er jetzt die Nerven hatte.
Wozu er jetzt den Mut hatte.
Mit einer wütenden Bewegung raffte sie ihren Mantel am Hals zusammen.
»Und du? Was hast du in den letzten sieben Monaten gemacht?«
Ja. Wie sollte er antworten? Wenn er ganz ehrlich war, wusste er es nicht mehr.
»Einen kleinen Unterschied gibt es natürlich. Zumindest bin ich eine dämliche Neunundzwanzigjährige.«
Er sank wieder zurück auf die Bank.
»Hör auf.«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach sagen?«
Er hatte keine Ahnung. Darum schwieg er. Ließ die mahlenden dumpfen Motorgeräusche aus dem Maschinenraum des Schiffes mit seiner Verwirrung verschmelzen.
»Willst du etwa, dass ich dich tröste?«
Ich liebe Ihre Frau, und sie liebt mich.
»Es tut mir sehr Leid, aber dazu habe ich nicht die geringste Lust. Ehrlich gesagt verstehe ich auch nicht, warum es einen Grund dazu geben sollte, jedenfalls nicht, wenn du mich nicht die gesamte Zeit über angelogen hast.«
Sie stieg vom Bett und zog sich einen Pulli aus ihrer Reisetasche über. Hastige, affektierte Bewegungen, als wollte sie genauso schnell von dort verschwinden wie er. Als sie zum Bad ging, sah er, wie sie sich mit der Hand über die linke Wange strich. Sie hatte so sehr geglaubt und gehofft. Und er hatte so sehr gewollt und so viel versprochen. Eine Welle von Zärtlichkeit durchfuhr ihn. Er wollte nichts weniger als ihr wehtun, sie hatte mehr als jeder andere ein bisschen Glück verdient nach alldem, was sie durchgemacht hatte, aber zu seinem eigenen Erstaunen stellte er fest, dass er für ihre Träume noch nicht bereit war.
Vor der Tür zum Bad blieb sie stehen, sah ihn aber nicht an.
»Ich nehme heute Abend die Fähre zurück von Åbo.« Dann trat sie über die Schwelle, zog die Tür
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